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Rezension zu zwei didaktisch aufbereiteten Ovid-Comics

30.05.2014

Michael Stierstorfer, Besprechung von: Hellmich, Michaela: Ovid. Verwandlungsgeschichten. Ein Comic als Ovid-Lektüre, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2014, 64 S.
und Henneböhl, Rudolf: Ovid, Metamorphosen, Reihe: Latein Kreativ 1, Bad Driburg (Ovid Verlag) 42011, 176 S.

Ist der Einsatz von Comics zu Ovids Metamorphosen im Lateinunterricht sinnvoll oder entspringen solche Publikationen reiner „Geldmacherei“ der Verlage, die Ovids mythologisches Weltgedicht auf triviale Art und Weise kontaminieren und popularisieren? Im Falle von didaktisch gut aufbereiteten Text-Bild-Konnexen, die den Schülerinnen und Schülern dabei helfen, konkrete Vorstellungen zu der komplexen Thematik des ovidischen „Flickenteppichs“ – von Arachne kaleidoskopartig gewoben – zu entwickeln, ist der Einsatz derartiger Produkte sicherlich zu befürworten. Einige Lateinlehrer und Lateinbegeisterte kennen vielleicht den Metamorphosen-Comic aus dem Klett-Verlag (Martin Frei, 1996), der einige prominente Episoden, wie z. B. Niobe, Narcissus/Echo und Daedalus/Icarus, weitgehend vorlagengetreu visualisiert. Dabei werden einerseits handlungstragende Dialoge in Sprechblasen zu den Bildern frei formuliert, andererseits stehen unter jedem Bild Originalverse aus den Metamorphosen, sodass der Rezipient das Bild und die Sprechblase als Hilfe zur Übersetzung der Verse verwenden kann. Dadurch wird der Comic als Übersetzungshilfe für den Unterricht lektürebegleitend einsetzbar. Dem mittlerweile aufgrund des überholten Zeichenstils etwas verstaubt-monumental wirkenden Comic fehlt jedoch bis auf ein kleines Heftchen mit ‚Worterläuterungen zu Comic und Text‘ jegliche didaktische Aufbereitung, welche komplett von der Lehrkraft übernommen werden muss. Ist daher die Zeit für neue Ovid-Comics gekommen?

1. Hellmich, Michaela: Ovid. Verwandlungsgeschichten. Ein Comic als Ovid-Lektüre

Der für Innovationen aufgeschlossene Traditionsverlag Vandenhoeck & Ruprecht versucht diesem Desiderat nach einem didaktisch konzipierten Comic abzuhelfen und schickt seit 2014 eine Anime-Version der ovidischen Verwandlungsgeschichten auf den Schulbuchmarkt. So weit dieser japanisch anmutende Zeichenstil von der Lebenswelt der Lehrer(innen) entfernt sein mag – einige Kollegen zeigten sich bereits von dem Zeichenstil sichtlich irritiert –, so ansprechend könnte er auf die Schüler wirken, die im Rahmen ihrer Mediensozialisation mit dieser Art des Comics vertraut sein sollten. Der Comic umfasst folgende Themenblöcke: Apollo und Daphne, Actaeon und Diana, Jupiter und Semele, Narziss und Echo, Pyramus und Thisbe. Es überrascht zwar, dass alle Bilder nach japanischem Anime-Vorbild in schwarz-weiß gehalten sind, jedoch sind diese mit viel Liebe zum Detail gezeichnet und emotionalisieren den Plot der Metamorphosen durch eingängige Gestik und Mimik. Teile der Handlungsstruktur befinden sich entweder in den Sprechblasen mit kolloquialem Prosasermon oder in viereckigen Kästen zum Vorantreiben des Plots.

Neu ist, dass jede zweite Seite einen didaktisch aufbereiteten Originaltextauszug mit stets gleicher, schülerfreundlicher Progression bietet. Neben einem zentralen Ausschnitt aus den Metamorphosen, der thematisch zum Comic passt, und Vokabelhilfen finden sich gemäß der Kompetenzorientierung einerseits ‚Aufgaben zu Sprache und Texterschließung‘ und andererseits ‚Aufgaben zu Textverständnis und Interpretation‘. Bei den ‚Aufgaben zur Sprache und Texterschließung‘ sollen die Schüler(innen) u. a. Wort- und Sachfelder realisieren , grammatische Fragen aller Art beantworten, nach Stilmitteln und deren inhaltlicher Bedeutung suchen oder gar Sprechblasen mit lateinischen Inhalten versehen. Diese Rubrik ist zwar abwechslungsreich, wohldurchdacht und kompetenzorientiert gestaltet, jedoch fehlen Aufgaben zur Differenzierung ganz. Manche Anweisungen, wie z. B. das Einfügen von lateinischen Dialogen in die Sprechblasen, dürfte nur von besonders leistungsstarken Schülern zu bewältigen sein, daher wäre es sicher sinnvoll gewesen, die Aufgaben kumulativ anzuordnen und mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden zu versehen.

Die ‚Aufgaben zu Textverständnis und Interpretation‘ verlangen den Schüler(inne)n Kompetenzen des sinnverstehenden Lesens ab (‚Erkläre‘, ‚beschreibe‘,…) und sind in handlungsorientiertem (‚Spielt in verteilten Rollen‘,…) oder in produktionsorientiertem (‚Vervollständige‘,…) Duktus gehalten. Dieses abwechslungsreiche Aufgabenfeld bezieht sich sowohl auf die Comic-Strips als auch auf die Textauszüge aus den Metamorphosen. Am Ende des Comics wird das bisher erworbene Wissen zusammengeführt und kulminiert in dem Block ‚Übergreifende Aufgaben‘, der nicht nur die unterschiedlichen Arten von Verwandlungen thematisiert, sondern auch auf die Makrostruktur der gesamten, im Comic thematisierten Metamorphosen abzielt. Abgerundet wird das Werk durch Erläuterungen zu gängigen, in den Metamorphosen dominant vorhandenen Stilmitteln.

Fazit: Dieser didaktisch gut aufbereitete Comic, der den Originaltext mit lebendigen Dialogen in korrekter Latinitas verbindet, ist die ideale Ergänzung zur Abrundung einer Metamorphosen-Sequenz etwa in einer 10. Klasse. Auch wenn das große Potenzial zur Binnendifferenzierung bei diesem ‚Nice to have-Produkt‘ nicht genutzt wurde und die graphische Machart des Comics Lehrkräfte auf den ersten Blick irritieren könnte, ist dieses Werk für Lehrende, die offen für einen modernen und schülerfreundlichen Lateinunterricht sind, uneingeschränkt zu empfehlen. Die einzelnen Episoden könnten auch im Rahmen eines Lernzirkels in der Klasse bearbeitet werden, wobei dann die Musterlösung zur Selbstkontrolle von der Lehrkraft aufwendig erstellt werden müsste. Daher wäre es auch sinnvoll, wenn zur einfacheren Kontrolle der Aufgaben Musterlösungen im Rahmen eines Lehrerheftes angeboten würden.

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2. Henneböhl, Rudolf: Ovid, Metamorphosen

Optisch ansprechender und farbenfroher gestaltet als der Comic von Vandenhoeck & Ruprecht erweist sich auf den ersten Blick derjenige aus dem noch relativ jungen Ovid Verlag. Nach einer Einführung zu den allgemeinen Themenfeldern „Comic“, „Der antike Mythos“, „Der Dichter Ovid“ und „Die Metamorphosen“ werden in einem kleinen Absatz kurz die ‚Ziele der Lektüre‘ erläutert. Neben dem Kennenlernen von dichterischen und erzählenden Techniken nennt der Bearbeiter hier das Kennenlernen des Wesens des Menschen und den Anreiz zu einem kreativen Umgang mit ovidischen Mythen als Grobziele. Es folgt eine Übersicht über das Œuvre des Dichters und den Aufbau der Metamorphosen. Folgende Episoden thematisiert Henneböhls Comic: Proömium, Apollo und Daphne, Narcissus und Echo, Pyramus und Thisbe, Orpheus und Eurydice, Pygmalion und Epilog. Jede Episode ist stringent nach folgendem Schema aufgebaut: Begonnen wird mit einer lateinischen ‚Introductio‘, die die Schüler(innen) in das Setting der Episode einführt. Besonders auffällig ist dabei die vor Germanismen strotzende Latinitas, die Wissenschaftlern sicher sauer aufstößt, Schülern jedoch weniger auffallen dürfte.

Die Comic-Adaption geht mit der ovidischen Vorlage im Gegensatz zu den anderen beiden Comics freier um. So wird zur Daphne-und-Apollo-Episode eine Vorgeschichte erfunden, in der die Schwestern der Wassernymphe Daphne ebendiese verheiraten wollen. Mit den Worten „Nolite me premere!“ wehrt diese die Idee der Schwestern ab. Grundsätzlich sind derartige Supplemente nette Ergänzungen zum Mythos. Auch ihr Vater, der Flussgott, drängt sie mit folgenden nicht aus den Metamorphosen stammenden Worten zu einer Partnerschaft: „Et ego certe mox nepotes parvos accipiam.“ Problematisch ist dabei jedoch, dass die Schüler(innen) nicht auf diesen freien Umgang mit der Vorlage hingewiesen werden und daher – sofern die Lehrkraft sie nicht explizit darüber unterrichtet – sicherlich glauben, dass diese Geschichte so in den Metamorphosen steht. Entsprechendes ist auch zum Narcissus-Mythos zu ergänzen, in dem den Schönling ein abgelehnter Liebhaber verflucht. Nach jeder Comic-Einheit folgen dann zunächst ‚Aufgaben zur Interpretation‘, die sowohl sinnverstehender (‚Erläutern Sie‘,…) als auch handlungsorientierter Natur (‚Lesen Sie mit verteilten Rollen‘,…) sein können. Die Fragen sind abwechslungsreich gestaltet und zielen anhand konkreter Arbeitsaufträge zu den Bildern oder zu den Originalversen aus den Metamorphosen auf ein tiefergehendes Textverständnis ab. Mit ca. zehn Aufgaben hat jede Lehrkraft genügend Aufgaben zur Auswahl, aus denen sie für die jeweilige Lerngruppe geeignete auswählen kann. Als Zweites folgt der Block ‚Kreative Aufgaben‘, der zahlreiche produktionsorientierte Aufgaben zu der jeweiligen Episode enthält, wie z. B. das Zeichnen, Briefeschreiben oder das Verfassen eines Rap-Songs. Für diese vielfach zu offen formulierten Aufgaben dürfte in einer normalen Unterrichtssequenz wohl kaum Platz sein, da diese sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.

Als Nächstes folgt eine ‚Übung zu Stilmitteln‘, die ganz lapidar aus einem teilweise unzusammenhängenden Text besteht, aus dem die Schüler Stilmittel ohne Herstellung des Inhaltsbezugs heraussuchen sollen. Diese Aufgabe lässt jegliche Kompetenzorientierung vermissen. Zudem wird dabei eine Vielzahl von aus dem Kontext losgelösten Einzelversen präsentiert, die in den Gesamtkontext der Episode eingeordnet werden sollen. Man fragt sich, was das Ziel dieser Aufgabe sein soll, die zudem zu umfangreich konzipiert ist.

In einem weiteren Schritt folgen Textauszüge aus den Metamorphosen in drei grünen Kästen zu der im Comic behandelten Episode. Dazu werden pro Textauszug ca. fünf sinnverstehende und handlungsorientierte Aufgaben gestellt. Die Fragen weisen teilweise eine große Ähnlichkeit zu den Comic-Fragen auf, weshalb manche Themen redundant abgehandelt sind. Je nachdem welche Grammatik in der Episode verstärkt behandelt wird, folgen Wiederholungs- und Übungsaufgaben, die eine breite Auswahl an Einzelaufgaben enthalten, jedoch zumeist isoliert ohne Kontextualisierung in Einzelwörtern oder Sätzen dastehen. Dabei wird ein Grammatikphänomen zusätzlich theoretisch in knappen Sätzen erläutert.

Abgerundet wird eine jede Themeneinheit durch ‚Übungen zum Wortschatz‘. In diesem Zusammenhang sollen die Schüler den lateinischen Wörtern deutsche Bedeutungen zuordnen oder z. B. Teile eines Baumes den entsprechenden Körperteilen eines Menschen zuweisen. Gerade bei letzterer Aufgabe fragt man sich nach dem Sinn. Ansonsten sind die Figuren aus einer Episode mit bestimmten Charaktereigenschaften aus Wort- und Sachfeldern am Ende des Buches in Verbindung zu bringen. Im Großen und Ganzen enthält jedes Kapitel zwar viele verschiedene Übungsaufgaben, jedoch wirken einige zu wenig durchdacht und zielführend. Es sind zwar gute Impulse für Aufgaben vorhanden, aber den Schülern wird keine Anleitung an die Hand gegeben, wie sie diese Aufträge realisieren können, deren Umfang häufig den einer Projektarbeit hat. Am gravierendsten stechen so manche Lateinfehler ins Auge: So heißt es auf Seite 29 „colloquas“ anstatt „colloquaris“ und „suberbia“ statt „superbia“. Auf derselben Seite steht in der Periode „Amet ipse licet, sed non potiatur amato!“ ein mit „licet“ angezeigter Konzessivsatz, wo vom Sinn her ein Wunschsatz gefordert wäre. Ein Lektorat hätte also diesem Werk nicht geschadet.

Fazit: Der Ovid-Comic von Henneböhl überzeugt zwar einerseits durch eine liebevolle und für Schüler ansprechende Aufmachung und enthält vielfältige Anregungen für eine Unterrichtssequenz mit den Metamorphosen, aber die Überfülle an Aufgaben, von denen einige nicht zielführend sind, dürfte sowohl Lehrkräfte als auch Schüler überfordern. Um ein unterrichtstaugliches Florilegium zu erhalten, das die schlechten Aufgaben aussondert, muss die Lehrkraft eine zeitaufwändige Vorauswahl treffen. Es wäre dem Comic zugutegekommen, die Aufgabendichte zu halbieren und dafür mehr Zielgerichtetheit und Kompetenzorientierung gemäß den KMK-Standards zu fokussieren. Als schwerwiegend sind so manche lateinische Formfehler zu gewichten, an denen man merkt, dass diesen Comic wohl kein Lektorat zu Gesicht bekommen hat. Für Lehrkräfte, die viel Zeit mitbringen und zentrale Episoden der Metamorphosen anhand von anregenden handlungs- und produktionsorientierten Aufgaben wiederholen möchten, sei dieser Comic dennoch empfohlen. Eine gezielte Vorauswahl ist jedoch sowohl für das Zeit- als auch für das Qualitätsmanagement im Unterricht unerlässlich.

Gesamtfazit: Im direkten Vergleich hat zwar der Comic des Ovid Verlags eine wesentlich schönere und motivierendere Aufmachung, jedoch ist nicht alles Gold, was glänzt. An der inhaltlichen Konzeption des Comics müsste aus den o. g. Gründen noch gearbeitet werden. Der Comic von V & R verliert zwar optisch, jedoch ist er wesentlich klarer strukturiert, enthält kompetenzorientiertere und zielführendere Aufgaben als der Comic von Henneböhl. Darüber hinaus bietet er wenige, jedoch zumeist sinnvolle und durchdachte Aufgaben. Auch aus sprachlicher Sicht hat der Comic von V & R die Nase vorne. Will man den Schüler(inne)n einige Episoden der Metamorphosen in Form gewinnender, manchmal auch überraschender und zum Nachdenken anregender Illustrationen zur Veranschaulichung zeigen, so ist der Comic des Ovid Verlags vorzuziehen. Möchte man längerfristig mit einem Metamorphosen-Comic lektürebegleitend strukturiert arbeiten, so ist das Werk von V & R zu bevorzugen.