Forum Didacticum
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Protokoll Benz

Sitzung vom 14. Juni 2006 (II)

Analysiertes Lehrbuch:

Felix (Ausgabe A)

3.3 Aufbau eines Kapitels im Lateinbuch

[...]

  • Informationstexte

Die jeweils am Ende der Lektion stehenden Informationstexte bieten kultur-, mentalitäts-, sozial- oder ereignisgeschichtliche Ergänzungen zur Thematik des entsprechenden Lesestücks - in deutscher Sprache und dem Niveau der Unterstufe angemessen. Z.T. beschriftete Abbildungen dienen nicht nur der Auflockerung, sondern auch der Veranschaulichung - richten sich also an visuelle Lerntypen.

3.4 Aufbau eines Kapitels im Begleitbuch

  • Wortschatz

Im Begleitbuch werden die neu zu lernenden (keine Wiederholungswörter) lateinischen Wörter und einzelne Wendungen in der Reihenfolge dargeboten, wie sie im Text vorkommen; angegeben sind dabei grammatische Eigenschaften wie die Genusendungen bei Adjektiven oder die Stammformen bei Verben mit unregelmäßiger Perfektbildung. Phraseologische Wendungen folgen in Kleindruck auf den Wortschatz; dabei fehlen allerdings z.T. valenznotwendige Ergänzungen, wie das Genitivobjekt in „mihi in mentem venit“.

Da das Lehrbuch für L2 konzipiert ist, Englischkenntnisse also vorausgesetzt werden können, sind ebenfalls nach dem Wortschatz in Kleindruck Eigennamen und englische Wörter aufgelistet; im Sinne des entdeckenden Lernens sollen die Schüler deren Bedeutungen durch Rekurs auf die neu erlernten Vokabeln erschließen. Dies ist bei einigen Wörtern nicht ohne Weiteres möglich, weswegen dann auch die Übersetzung angegeben ist („disciple (Jünger)“). In neueren Lehrbüchern wird das Interlexikon - nicht zuletzt der Übersichtlichkeit wegen (die optische Darbietung in „Felix“ ist unzureichend) - in einer dritten Spalte direkt in die Vokabelliste eingefügt.

Ebenfalls im Wortschatzteil befinden sich Systematisierungen: So wird unter der Rubrik „Kontext“ ein syntaktisches Pattern z.T. in kontrastivem Verfahren dargestellt; dabei wird auf Aspekte von Valenzstruktur und Semantik besonderer Wert gelegt (vgl. hierzu z.B. „agere“). Ferner dienen „Sachfelder“ der Herstellung gedanklicher Zusammen­hänge; mittels Visualisierung - die Darstellung ist also nicht rein ornamental - wird Ordnung im mentalen Lexikon geschaffen (Retention der Vokabeln!). Erkenntnisse der Psycholinguistik und Sprachlernforschung sind in „Felix“ produktiv aufgegriffen worden. Kritisch allerdings bleibt anzumerken, dass die Wörter des Sachfelds und das Bild z.T. nicht kohärent sind; so ist bei einer Opferung z.B. ein Schaf dargestellt, statt „pecus“ aber „taurus“ angegeben. Verbesserungen im Detail scheinen also notwendig.

Dem Fortleben des Lateinischen in den romanischen Sprachen spüren eigene Kästen der Rubrik „Latein lebt“ nach; sie dienen neben der Systematisierung auch der Legitimation.

  • Grammatik

Die Begleitgrammatik, die sich streng nach der Stoffprogression des Lateinbuchs richtet, ist durch die Bezugsperson des „Grammadux“ aufgelockert. Er weist in Zusatzabschnitten auf spezielle Schwierigkeiten hin und zeigt Lösungswege auf; zudem systematisiert er in den sogenannten „Haltepunkten“ wichtige grammatische Phänomene. Die Hinweise beispielsweise zur Morphologie sind nützlich; ob aber die gewählte Dialogform angemessen beziehungsweise in den Unterricht methodisch sinnvoll integrierbar ist, darf bezweifelt werden.

Die Einführung des „Grammadux“ ist ein Hinweis auf die allmähliche Abkehr vom lehrerzentrierten Unterricht (das Lehrbuch wird ohne Lehrer benutzbar - der „Grammadux“ leitet die Schüler an); durch den „Grammadux“ wird mittelbare Einflussnahme auf die methodische Gestaltung des Unterrichts möglich: Die Erklärungen des Alten können die Lehrkraft anregen. Der „Grammadux“ ist Lehrerperson und Lehrbuchautor in einem.

Die grammatischen Erläuterungen, die sich auf das für den Schüler Notwendige und Wichtige beschränken, sind nach Formenlehre (F), Syntax und Semantik (S) sowie Textgrammatik (T) gegliedert. Dass auf Aspekte der Pragmatik nicht eingegangen wird, ist bedauerlich, entspricht aber durchaus der Konzeption des Lehrwerks, das ganz auf aktive Lateinbeherrschung verzichtet (Latein sprechen!); so wird im Bereich der Textgrammatik auch ausschließlich auf den Kotext [1] eingegangen, der (situative) Kontext einer sprachlichen Äußerung, der für textlinguistische Fragestellungen durchaus auch seine Relevanz hat, aber vernachlässigt.[2] Auch die abgedruckten lateinischen Lieder sind hinsichtlich der „latinitas viva“ wohl kaum mehr als ein Feigenblatt.

Eine Besonderheit des Begleitbuchs stellen die den Sequenzen des Lehrbuchs entsprechenden Teiler dar: Sie zeigen stichwortartig unter Verwendung der Reisemetaphorik des Lateinbuchs auf, „wo die Reise hingeht“. Auch sie sollen durch exemplarische, offene, paradoxe Formulierungen motivierend wirken.

Abschlussdiskussion: Welche Anregungen weisen in eine richtige Richtung? Wo sind spezielle Fachleistungen des Lateinischen bedroht?

 Wiewohl der lehrerzentrierte Unterricht in der altsprachlichen Didaktik keinesfalls „abgeschafft“ wurde,[3] müssen psycholinguistische, (sprach)lern- und entwicklungspsychologische Erkenntnisse in der Diskussion berücksichtigt werden. Die Gestaltung eines Lehrbuchs v.a. unter dem Gesichtspunkt der Motivierung erscheint prinzipiell sinnvoll, Tipps, Anleitungen und Lernhilfen sollen gegeben werden. Dabei bedarf allerdings die Form der Vermittlung einer kritischen didaktischen Reflexion.

Auch was die Themenwahl betrifft, muss ein sinnvoller und gangbarer Mittelweg gefunden werden: Zu berücksichtigen ist hierbei einerseits die angemessene Thematisierung einer Kultur des Fremden/ Anderen, die durchaus auch für Unterstufenschüler ihr Faszinosum hat; andererseits aber auch die Einbeziehung von an der Lebenswelt der Schüler orientierten Facetten des antiken Lebens. Wird auf Letzteres zu großes Gewicht gelegt, führt das nicht selten zu gezwungener Komik und uninspirierten Texte, die mehr verstören, als dass sie helfen. Ein Lösungsvorschlag: Zahlreiche fakultative Angebote (wie einsprachige Jugendbuchauszüge u.a.) lassen Lehrkraft wie Schülern sicherlich am ehesten die Freiheit, die sie benötigen.

Nach wie vor aber gilt: Der Inhalt gibt die Methode vor und die antike Kultur, d.h. für den Unterricht: v.a. die Texte und die in ihnen verhandelten Themen stehen und sprechen - auch heute noch - zu einem Gutteil für sich.


[1] Vgl. z.B. Hans Altmann u. Ute Hofmann, Topologie fürs Examen. Verbstellung, Klammerstruktur, Stellungsfelder, Satzglied- und Wortstellung, Wiesbaden 2004, S.20: „Hierbei [in diesem Zusammenhang ist von der rein pragmatischen Funktion von Reihenfolgeeigenschaften die Rede, MB] handelt es sich um eine Anpassung von Einzelsätzen an den sprachlichen Kotext (vorausgehende und folgende Äußerungen) und den situativen Kontext ...“.

[2] Das Thesenpapier von Hecht und Fischer ist an dieser Stelle terminologisch unsauber.

[3] Vgl. hierzu die teilweise radikalen (und unhaltbaren) Ansätze in den Didaktiken der Neuphilologien, für die Germanistik z.B. die Ansichten Jutta Wermkes.