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Rezension "Ovids Spiel mit der Liebe: Amores"

Berkan Sariaydin, Besprechung von: Wulf Brendel / Marlit Jakob / Britta Schünemann / Heike Vollstedt (Hgg.): Ovids Spiel mit der Liebe: Amores (= classica 12), Göttingen 2017, 77 S.

Von den Werken Ovids wird sein Debüt auf der literarischen Bühne Roms im schulischen Lateinunterricht der Gegenwart wohl am stiefmütterlichsten behandelt. Nicht nur der bayerische Lehrplan etwa, der nur die Ars amatoria als Lektüre vorschreibt, ignoriert die Amores, obwohl sie doch in der 9. Jahrgangsstufe im Zuge der Sequenz „Liebe, Laster, Leidenschaft“ (LehrplanPLUS: 10. Jahrgangsstufe, „Liebe und Leidenschaft“) gelesen werden könnten, sondern auch von den selbstredend an den gültigen Lehrplänen orientierten Autoren der Lehrbuchausgaben. Umso beachtenswerter ist es daher, dass Wulf Brendel, Marlit Jakob, Britta Schünemann und Heike Vollstedt in der von Peter Kuhlmann herausgegebenen und insbesondere auf den Lateinunterricht in Niedersachsen zugeschnittenen Reihe „classica – kompetenzorientierte lateinische Lektüre“ eine Ausgabe zu „Ovids Spiel mit der Liebe“ vorgelegt haben. Dieser Titel ist jedoch gewissermaßen positiv irreführend, schließlich bietet die Ausgabe nicht nur Texte aus den Amores, auf die sie sich konzentriert, sondern neben weiteren Passagen aus Ovids erotodidaktischem Werk, der Ars amatoria und den Remedia amoris, sowie der ersten Epistula Heroica und den Tristia auch zwei kurze Martial-Epigramme. Die 20 Lektürekapitel (21-65) werden in der Ausgabe gerahmt durch eine umfangreiche Einleitung (8-20) und einem Anhang mit nach Sachfeldern geordnetem Lernvokabular und einem Stilmittelverzeichnis (66-77).

1. Zu viel und zu wenig – Die Einleitung zu Ovids Spiel mit der Liebe


In bewährter Manier der „classica“-Reihe eröffnet die Lektüreausgabe ihren Lehrgang mit einer zweiseitigen Übersicht über die zu erwerbenden Kompetenzen (8-9), die in Anlehnung an die DAV-Matrix in die drei Bereiche Sprache, Text und Kultur gegliedert sind und die wichtigsten und relevanten Aspekte der Amores abdecken, etwa häufige Topoi der römischen Liebeselegie sowie historisch-politische Zusammenhänge. Sinnvoll erscheint außerdem aufgrund der Berücksichtigung verschiedener Texte unterschiedlicher Gattungen der Hinweis auf Gattungsdifferenzen zwischen Liebeselegie und Lehrgedicht, wohingegen eine Abgrenzung Ovids innerhalb der Gattungen nicht als Kompetenz festgehalten wird.

Auf die Übersicht zu Standards und Kompetenzen folgen mehrere Sachtexte zum Leben und Werk Ovids sowie zur Gattung (10-14). Die Texte erhellen zwar durchaus für die Lektüre wichtige Aspekte, weisen jedoch trotz ihrer Länge und des reduktionistischen Layouts keinerlei Hervorhebungen auf und verzichten mit Ausnahme der Ovid-Statue von Tomi auf S. 10 leider vollständig auf Illustrationen. Auch Aufgaben zum Textverständnis fehlen. Beides wäre zur Erhöhung der Retention sinnvoller gewesen als ein liebloser Artikel im Stile einer Literaturgeschichte. Beispielsweise würde eine Karte von Ovids Exilort die geographische und vor allem geistige Entfernung von der Heimat des Dichters wohl mehr erhellen als der für viele Schülerinnen und Schüler mit Sicherheit nicht weiterhelfende Hinweis darauf, dass Tomi am Schwarzen Meer liegt.

Nützlich sind die kurzen und präzisen literaturhistorischen und gattungsgeschichtlichen Einordnungen der jeweiligen Texte; warum jedoch die Amores, die ja das Gros der Lektüreausgabe umfassen sollen, lediglich in sechs Zeilen charakterisiert werden, während die Epistulae Heroicae acht und der gesamte liebesdidaktische Zyklus eine halbe Seite erhält, erschließt sich mir genauso wenig wie das Bild von Amor und Psyche am Ende des Kapitels (S. 14). Insbesondere durch eine Reduktion der Sachinhalte und Formulierung konkreter Aufgaben zur Bündelung und Aufbereitung der Inhalte wäre eine tiefergehende Erarbeitung von Leben und Werk Ovids möglich und wichtig gewesen. Beispielsweise könnte leicht eine bilddidaktische Aufgabe zur Ovid-Statue auf S. 10 formuliert werden, etwa eine Analyse von Gesichtsausdruck und Haltung des verbannten Poeten.

Die Einführung in das Versmaß (S. 15-16) ist übersichtlich und umfassend, jedoch könnten die wichtigsten Informationen etwa durch Fettdruck hervorgehoben werden. Sinnvoll sind die metrische Muster-Analyse und die drei zu Übungszwecken abgedruckten Distichen aus Am. 1,9 (S. 17-18).

Auf die kurze Einführung zum augusteischen Zeitalter (S. 19), in der weniger die ultrakonservative virtus-Politik des Princeps im Mittelpunkt steht, als vielmehr die Verstöße der Kaiserfamilie gegen eben jene, wenngleich Hinweise auf die augusteischen Ehe- und Sittengesetze, die Ovid vielfach parodiert, wohl nützlicher für die Lektüre wären (S. 19), folgt ein kurzer wie basaler Überblick über das kommunikationstheoretische Vier-Seiten-Modell Friedemann Schulz von Thuns (20). Auf Letzteres wird jedoch in der gesamten Ausgabe kaum zurückgegriffen, sodass der didaktische Nutzen dahingestellt sei.

Diese kurze Übersicht verdeutlicht das additive Strukturprinzip, das in der Einleitung zwar besonders frappierend zu Tage tritt, aber in der gesamten Ausgabe erkennbar ist. So bleiben die einzelnen Sachinhalte, so wichtig sie im Einzelnen sein mögen, auch aufgrund fehlender weiterführender Aufgaben leider isoliert.

2. Wenig Text, viel Textarbeit? – die Lektürekapitel


Mögen in der Einleitung noch Aufgaben zur tieferen Verarbeitung der Inhalte fehlen, enthalten die Lektürekapitel eine Fülle an verschiedenen kompetenzorientierten Erschließungsfragen, die verschiedene Formen von Textarbeit initiieren können (bis auf Kapitel 11, S. 42-43 trotz einer freien halben Seite und Kapitel 16, S. 56-57, wo keinerlei Aufgaben auf tieferes Textverständnis zielen). Jedoch variiert die Anzahl an traditionellen und zum Teil monotonen Erschließungsfragen stark innerhalb der Kapitel (Kapitel 1 [S. 21-23]: 6 Erschließungsfragen zu ebenso vielen Versen; Kapitel 3 [S. 26-27]: 3 Erschließungsfragen zu 24 Versen). Zudem fordern leider nur wenige Fragen eine pre-reading-activity. Die insgesamt 20 Kapitel weisen dabei eine angemessene Progressionskurve auf, da Textlänge und inhaltliche Komplexität immer weiter zunehmen. Die Autoren geben dabei die Schwere der Texte in den meisten (aber nicht in allen!) Kapiteln durch Buchstaben an, wobei A leichte, B mittelschwere und C schwerere Texte bezeichnet. Möglichkeiten der Binnendifferenzierung bleiben jedoch ungenutzt. Besonders positiv hervorzuheben sind die konsequent gesetzten Reizüberschriften, welche die antiken Texte aktualisieren, beispielsweise wenn Kapitel acht, das Ovids Kosmetiktipps sammelt, überschrieben ist mit der Textzeile aus dem Song Venus von Shocking Blue (1968) resp. Bananarama (1986) „I’m your Venus, I’m your fire, your desire!“ (S. 36) oder Am. 3,8, Ovids Klage über die materialistische Neigung seines Saeculums (ingenium quondam fuerat pretiosius auro, Ov. am. 3,8,3), in Kapitel 14 wortspielerisch überschrieben wird mit „Geld. Macht. Sexy.“ (S. 52). Zu dieser Aktualisierung tragen auch die stets vorhandenen Hinführungssätze bei, wie etwa im erwähnten Kapitel zu Am. 3,8: „Der Worst Case ist eingetreten: Ein neureicher Nebenbuhler […] macht Ovids Sprecher die Geliebte streitig. Doch worauf stehen Frauen eigentlich? Auf den geistreichen Hipster oder doch auf den neureichen Bad Boy mit viel Testosteron im Blut?“ Freilich erweckt eine derart von Anglizismen strotzende Sprache den Eindruck eines gezwungen modernen und sich geradezu anbiedernden Lektüreunterrichts, über den man hier jedoch hinwegsehen kann, da aufgrund der Erschließungsfragen keine Verflachung des Textinhalts vorliegt. So wird nach der Charakterisierung des Soldaten, der dem Sprecher die Geliebte ausgespannt hatte, gefragt und so ein Zusammenhang zwischen realer militia und der militia amoris hergestellt, nach der spezifisch stilistischen Gestaltung gefragt und ein Rezeptionsdokument aus der Populärkultur (Die Ärzte, „Zu spät“), das auf ähnliche Topoi zurückgreift, ausgewertet.

In anderen Zusammenhängen kann die Aktualisierung jedoch nur noch als Banalisierung bezeichnet werden, beispielsweise in Kapitel 4 (S. 28-29), in dem Ovids Ars amatoria 1,41-66 im Zentrum steht, also die Hinführung zur Passage, in welcher der praeceptor AMORIS die Orte in Rom zeigt, an denen man einer Frau den Hof machen kann. Grundsätzlich ist die Auswahl dieses Textes an dieser Stelle zu hinterfragen, eignet er sich doch erstens weniger gut als Einleitungstext für die kurze Ars-Sektion (Kapitel 4-8 enthalten alle erotodidaktische Texte) und passt zweitens nicht zur zuvor gelesenen Elegie 1,9 (Militat omnis amans). Darüber hinaus bieten jedoch die Erschließungsfragen 4 und 5 keinerlei Mehrwert für die Interpretation. Während zunächst nämlich die antiken Gelegenheiten, eine puella kennenzulernen, verglichen werden sollen mit den Möglichkeiten in heutiger Zeit, löst sich die Aufgabe 5 vollständig und unvermittelt vom Originaltext und fragt nach Chancen und Risiken von Dating-Portalen anhand eines Artikels zur Flirt-App „Lovoo“. Dies erscheint aus mehrfacher Perspektive problematisch: Zunächst weil so die metapoetischen und gattungstranszendierenden Momente in dieser Passage völlig ignoriert werden; darüber hinaus aber auch, weil in diesem Abschnitt überhaupt keine Flirt-Tipps vorliegen, die man mit heutigen Gegebenheiten vergleichen könnte. Insofern entbehren beide Aufgaben völlig des Zusammenhangs zum Text, der zum Proto-Männermagazin verkümmert.

Insgesamt bereitet die Lektüreausgabe verhältnismäßig wenige Textpassagen zur Übersetzung und auf bietet viele synoptische Passagen an, wodurch auch längere Stücke bewältigt werden können. Es fällt jedoch negativ auf, dass die in Übersetzung gebotenen Textpassagen nicht abgesetzt sind, sondern einfach im kleingedruckten ad-lineam-Kommentar erscheinen. Dies marginalisiert einerseits den Haupttext, denn was im Kommentar steht, muss bekanntlich nicht „abgearbeitet“ werden, überfrachtet jedoch zugleich den Kommentar, der häufig auch ohne Synopsen den lateinischen Text an Länge um mehrere Zeilen übersteigt. Auch wenn einige Lemmata in den Lernwortschatz hätten ausgelagert werden können, ist der Kommentar benutzbar aufgrund der Verwendung von hochgestellten Zahlen im Originaltext als Hinweis auf Übersetzungshilfen am Rand. Der Lesefluss wird allerdings stark gestört, wenn beispielsweise in Am. 2,4,37, Non est culta – subit, quid cultae accedere possit, durch hochgestellte Zahlen auf ganze vier Worterklärungen im Kommentar verwiesen werden muss (S. 32).

Das Layout ist insgesamt, im Stil der „classica“-Reihe, schlicht, aber übersichtlich gehalten. Zur klareren Strukturierung wäre jedoch sicher eine konsequentere Verwendung von nur selten gebrauchten Siglen und von unterschiedlichen Schriftarten oder Formatierungen sinnvoll gewesen, etwa um Zwischenüberschriften im Originaltext stärker hervorzuheben, die im Kursivdruck bisweilen schwer erkennbar sind (bspw. S. 48-50). Außerdem hätten mehr Illustrationen das Schriftbild auflockern können, da mehrere Kapitel völlig ohne visuelle Rezeptionsdokumente auskommen. Dazu ist grundsätzlich zu kritisieren, dass fast keine bilddidaktischen Aufgaben vorliegen, sodass beispielsweise das eine ganze Seite füllende Dujardin-Gemälde, das den Kampf zwischen den Lapithen und den Kentauren darstellt, nicht weiter ausgewertet wird.

Sinnvoll erscheinen die unter der Sigle K gesammelten Sachinformationen zum Kontext und die unter S gebündelten syntaktisch-semantischen Grammatikalia, die für die Übersetzung der betreffenden Passage besonders relevant erscheinen (etwa zu Aktionsarten der Vergangenheitstempora auf S. 37). Diese Elemente sind jedoch viel zu rar und unausgewogen gesät; während sie am Anfang der Lektüreeinheit regelmäßig auftreten (Kapitel 1-5: mindestens ein K-/S-Element), liegen sie spätestens ab der zweiten Hälfte nur noch sporadisch vor. Immerhin verweisen die Fußnoten der jeweiligen Kapitel vorentlastend auf für die Lektüre besonders relevante Grammatikpensen.

3. Zum Anhang


Die Lektüreausgabe wird abgerundet durch ein weitgehend traditionelles Lernvokabular (S. 66-74) und das Stilmittelverzeichnis (S. 75-77). Die Lemmata sind dabei nach Sachfeldern gegliedert, was sinnvoll für die Erhöhung der Retention ist. Weitere Möglichkeiten der Feldvernetzung werden jedoch nicht genutzt. Das Vokabular hätte zudem weitgehend entschlackt werden können, da Lemmata wie amor, mater oder femina (70-71) in der Lektürephase wohl allen Schülern bekannt sein dürften.

4. Resümee


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Lektüreausgabe „Ovids Spiel mit der Liebe: Amores“ eine insgesamt durchschnittliche wie traditionelle Ausgabe von zum Teil schwankender Qualität darstellt, was wohl auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass sie aus der Feder von vier Autoren stammt. Negativ fällt insbesondere die Einleitung auf, die lediglich Fakten aneinanderreiht, ohne auf eine Vertiefung der Inhalte abzuzielen. Die Originaltexte liegen teilweise synoptisch und in einem schlichten Layout vor, wobei der überfrachtete ad-lineam-Kommentar die Lektüre erschwert. Die konservativen Aufgaben sind kompetenzorientiert, jedoch nicht immer zielführend und bisweilen stark verflachend. Auf Rezeptionsdokumente wird meist eingegangen, doch variiert auch hier die Ausgewogenheit und Zielführung für den interpretatorischen Mehrwert, insbesondere aufgrund der kaum vorhandenen bilddidaktischen Aufgaben.