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Rezension "Amor verdichtet ‒ Graffiti und Liebeselegie"

Alexandra Thalhammer, Besprechung von: Spal, Andreas / Bovelet, Heike: Amor verdichtet ‒ Graffiti und Liebeselegie. Göttingen 2017, 46 S.

Mit dem Lektüreband Amor verdichtet ‒ Graffiti und Liebeselegie widmen sich die Autoren der Aufgabe, Schülerinnen und Schülern die antike Liebesdichtung sowie deren zeitgenössischen kulturellen Kontext und näherzubringen. Der erstgenannte Part des Autorentandems, Andreas Spal, bringt beste fachliche Voraussetzungen für ein solches Unternehmen mit, wurde er doch im Jahr 2014 an der Universität zu Köln mit einer von Jürgen Hammerstedt betreuten Arbeit zum Thema Poesie ‒ Erotik ‒ Witz. Humorvoll-spöttische Versinschriften zu Liebe und Körperlichkeit in Pompeji und Umgebung (erschienen 2016 bei de Gruyter) promoviert. Im nun erschienenen Schülerheft werden (teils gekürzte) Originaltexte von Catull, Tibull, Properz und Ovid behandelt, welche thematisch zusammenhängende oder sogar kontrastierende Texte in Graffito-Form ergänzen. Durch die Thematik und die Auswahl der lateinischen Autoren lässt sich dieses Heft daher etwa im bayerischen Lehrplan in der neunten Jahrgangsstufe in der Sequenz „Liebe, Laster, Leidenschaft“ verorten.


Aufbau der Ausgabe

Auf das Inhaltsverzeichnis folgt eine Einleitung, in welchem die Autoren ihr Ziel darstellen, nämlich eine „Brücke [zu] schlagen: Zwischen den antiken Dichtern und uns, die wir uns wohl eher in den Graffiti wiedererkennen“ (S. 7). Auch soll Latein als lebendige Sprache erfahrbar werden, deren Verwendung nicht nur auf Texte aus der hohen Literatur beschränkt blieb. Der Lektüreband ordnet sein Material nach „Gefühlslagen“ an. Am Ende der Einleitung wird auf das Online-Zusatzmaterial verwiesen, das nach Eingabe eines Webcodes auf den Internetseiten des Verlages abrufbar ist. Dabei handelt es sich um lediglich acht Seiten mit Hintergrundinformationen und Übersetzungen der Graffiti sowie spärlichen Zusatztexten zum Thema „Liebe“.

Im Anschluss an die Einleitung bieten die Seiten 8-12 einen knappen kulturgeschichtlichen Überblick über Graffiti und Pompeji, literaturgeschichtliche Hinweise zur römischen Liebeselegie und ihren Autoren und deren Werk. Es folgen sieben Kapitel mit den folgenden Überschriften:

  • Kapitel 1: Fesseln der Liebe (Properz 1,9,1-4; 23-26; 33-34; Ovid, Ars 3,673-682; Inschrift ed. Heikki Solin 1975, Nr. 57)
  • Kapitel 2: Verzweifelte Liebe (Tibull 2,6,13-20; 25-28; Ovid, Amores 3,3,1-14; Catull 72; CIL IV 1824)
  • Kapitel 3: Liebe und Magie (Tibull 1,2,39-40; 43-60; Ovid, Remedia 259-260; 263-270; 287-290; CIL IV 1649)
  • Kapitel 4: Liebe oder Krieg? ‒ Liebe ist Krieg! (Ovid, Amores 1,9,1-12; 15-22; 25-28; 31-32; 41-46; CIL IV 4091)
  • Kapitel 5: Nichts hält für immer (CIL IV 9123; Ovid, Amores 2,9a,1-6; 11-24; Ars 2,107-120; )
  • Kapitel 6: Das Feuer der Liebe ‒ versengend oder wärmend? (CIL IV 1898; Properz 1,10)
  • Kapitel 7: Liebe: Fessel und Qual (Ovid, Amores 3,11b; Properz 1,1,1-8; 17-32; CIL IV 1520)
Nach den Lektüretexten folgen auf je zwei Seiten ein Anhang zur Metrik (S. 36f.) und ein Überblick über wichtige Stilmittel (S. 38f.), welche jeweils anhand von lateinischen Phrasen erläutert sind. Leider wurde dabei sowohl auf eine deutsche Übersetzung der Beispielsätze als auch auf einen Fett- oder Kursivdruck zur Hervorhebung des jeweiligen Stilmittels verzichtet.
Daran anschließend finden sich Verzeichnisse wichtiger Eigennamen (S. 40) sowie zu wiederholt vorkommenden Vokabeln (S. 41f.), welche jedoch beschränkt sind auf solche, die nicht in der adeo ‒ Wortkunde1 aufgeführt sind.
Vor dem Quellenverzeichnis wurde ein Anhang eingefügt, welcher Hinweise und Hilfestellungen zu den kritischen Zeichen bei der den Schülern nicht vertrauten Schriftdarbietung der Graffiti und zu den Buchstabenformen liefert. Zu letzteren ist auch eine Tabelle abgedruckt, welche bei der Arbeit mit den Graffitis von großem Nutzen sein wird. Auch auf Unregelmäßigkeiten in der Sprache der Graffitis gehen die Autoren ein.2
1Clement Utz, adeo ‒- Wortkunde. Erweitertes Basisvokabular nach Wortfamilien, Bamberg ²2015.
2Auf mögliche Probleme bei der Verwendung von Graffiti im Unterricht verweist Spal selbst in seinem Artikel Admiror te, paries. Überlegungen zum Einsatz pompeianischer Graffiti im Lateinunterricht, Pegasus 16 (2016), S. 51-73 auf S. 60. Im selben Aufsatz diskutiert Spal auch weitere Verwendungsmöglichkeiten von Graffiti, z.B. zum Zweck der Formen- oder Syntaxübung. http://www.pegasus-onlinezeitschrift.de/2016_1/pegasus_2016_02-spal_druck.pdf (12.11.2018).

Textauswahl

Die Textauswahl bietet teils gekürzte Originaltexte von Catull, Tibull, Properz und Ovid sowie Fotografien bzw. Apographa von antiken Graffitis, zudem den Liedtext zu Wolke 4 (2015) von Philipp Dittberner (*1990) und ein modernes Graffito. Hier hat man es versäumt, das große Potential für einen stärkeren Bezug zu modernen Graffitis3 weiter auszunutzen, welches gerade im Hinblick auf das im Einleitungstext formulierte Ziel einer Verknüpfung von Antike und Gegenwart durch aktualisierende Interpretation antiker Texte und die Rezeption der Antike in der Alltagskultur der Gegenwart zu erwarten wäre.

3So lassen sich z.B. auf der Website www.graffitieuropa.org Graffiti bzw. Dipinti eines Künstlers finden, der Stadtbeschriftungen jeglicher Art aus Wien ins Lateinische übersetzt.

Aufbereitung der Übersetzungstexte

Vor den lateinischen Textauszügen finden sich ein bis zwei deutsche Sätze, die eine kleine inhaltliche Vorentlastung an die Hand geben. Auf lateinische Sätze im Sinne von grammatikalischer Vorentlastung wurde komplett verzichtet, ebenso auf anderweitige Formen der gezielten Repetition von Grammatik, wenn man von den Hilfestellungen des Kommentars absieht. Diese wäre allerdings sicherlich sinnvoll, um eine Erfassung von Inhalt und Form der Werke von Seiten der Lernenden noch weiter anzuregen, da ja gerade diese Kombination in der Dichtung besonderen Mehrwert liefert.
Bei der Übersetzung der jeweiligen Textpassagen dient ein ad-lineam-Kommentar als Hilfe. Dieser bietet nicht nur bloße Übersetzungen unbekannter Wörter, sondern oft auch syntaktische Konstruktionshilfen (z.B. „quotiens: Ziehen Sie das Wort an den Satzanfang“, S. 15; „Ergänzen Sie puellam“, S. 22), Sachinformationen (z.B. zu lac: „Milch; sie wurde bei magischen Ritualen zum Heraufbeschwören und zum Entlassen der Totengeister verwendet“, S. 18), sowie Dekodierungshilfen (z.B. durch Herstellen des richtigen Wortbezugs, vgl. S. 26: „defunctum [bezogen auf me, V. 19]). Letztere schränken allerdings den Diskussionsspielraum für die richtige Übersetzung immens ein und unterbinden eigenständige Überlegungen von Seiten der Lerngruppe. Hier wäre es schön gewesen, wenn mögliche Bezüge zwar aufgezeigt, allerdings nicht notwendigerweise die richtige Antwort vorweggenommen werden würde, um richtige Sinnerschließung weiterhin zu fördern. Trotz allem ist aber die Tendenz, Angaben auf ein Minimum zu beschränken bzw. induktive Hilfestellung zu leisten, gut erkennbar.
Leider ist das Layout des ad-lineam-Kommentars nicht immer leserfreundlich: Müssen mehrere Angaben für eine Zeile gemacht werden (vgl. S. 18 ab Zeile 7), sind die Angaben zur jeweiligen Zeile teils stark versetzt. Hier wäre eine Nummerierung oder ein Fettdruck als Orientierungshilfe sicherlich nützlich, v.a. um das Übersetzungstempo zu erhöhen, das durch langes Suchen der passenden Angaben gehemmt wird. Die für das Verständnis durchaus sinnvoll erwähnten Sachinformationen könnten eventuell auch erst unter dem Text ergänzt werden, um so das ad-lineam- Layout besser zu erhalten und eine didaktisch gebotene Hierarchisierung der Informationstypen zu gewährleisten.

Nach den Texten schließen sich Interpretationsaufgaben an. Diese variieren in ihrer Anzahl (zwischen drei und acht Aufgaben) sowie in ihrem Anforderungsprofil: So werden metrische Analysen (z.B. die für Schüler sehr anspruchsvolle „Frage zur Metrik: Dem Schreiber des Graffitos ist ein metrischer Schnitzer unterlaufen. Finden Sie diesen! Durch welche leichte Veränderung könnte er beseitigt werden?“, S. 20), Vokabelarbeit (z.B. „Finden Sie die verschiedenen Bedeutungsebenen für candidus und niger heraus [vgl. auch die Vokabelliste] und stellen Sie ihren Einfluss auf die Aussage des Gedichts dar“, S. 35) und Herstellung des Gegenwartsbezugs (z.B. „Properz macht seinem Freund Gallus einen Vorschlag, wie er seine Liebe retten kann. Diskutieren Sie ‒ evtl. nach Geschlechtern getrennt ‒, ob dieser Ratschlag auch heute noch gültig ist“, S. 30) neben der klassischen Interpretation verlangt. Letzteres wird an manchen Stellen besser, an manchen Stellen schlechter von Seiten der Autoren angeleitet: So kontrastiert eine gut gelungene Interpretationsanleitung zu Ov. am. III 11b, „Beschreiben Sie den Zwiespalt, in dem das lyrische Ich steckt und belegen Sie ihn mit Zitaten aus dem Gedicht“ (S. 35) mit der nutzlosen Anweisung „Interpretieren Sie die letzten zwei Zeilen des Gedichts“ zu Tib. I 2,39-40/43-60 (S. 20).

Auch kreative sowie handlungs- und produktionsorientierte Aufgaben wie die Erstellung eines eigenen Entwurfs eines Graffitos „zu Liebe, Folter und Qual“ (S. 35) sowie Einbezug des Bildmaterials (z.B. „Stellen Sie einen Zusammenhang her zwischen dem Inhalt der Ovidpassage und dem Skelettmosaik“, S. 28) werden geboten. Umso negativer sticht heraus, dass auf eine der wenigen modernen Referenzen, den Liedtext zu Wolke 4 von Philipp Dittberner (S. 31), gar kein Bezug genommen wird. Hier drängt sich die Frage auf, warum dieser Text abgedruckt wurde, wenn nicht aus dem (hier gescheiterten, da unausgewerteten) Versuch, Anknüpfungspunkte für eine gegenwartsrezeptionsorientierte Interpretation zu bieten. Hier ist Anleitung durch die Lehrkraft unabdingbar, um diesen Text sinnvoll einzubinden.

Positiv hervorzuheben ist allerdings, dass auch in diesem doch recht kompakten Lektüreheft an einer Stelle exemplarisch versucht wird, auf Differenzierung durch Spezialistenfragen (S. 28) einzugehen.

Etwas störend wirkt das wechselhafte Layout der Interpretationsfragen, die nur manchmal durch eine fett gedruckte Überschrift hervorgehoben werden. An manchen Stellen erfolgt die Zuordnung der Aufgaben zu den einzelnen Gedichten unpräzise mit „Gedicht 1, Gedicht 2“ usw. (so z.B. auf S. 17, auf der die Aufgaben 4 bis 6 ohne kompetenzorientierte Operatoren formuliert sind), an anderer Stelle zwar mit genauer Nennung des Gedichtautors (z.B. „Zu Tibull“, S. 20), allerdings nur durch die Unterstreichung abgehoben von den allgemeinen Interpretationsfragen und auch durch die fortlaufende Nummerierung nicht schnell genug differenzierbar. Auf S. 35 wurden die Interpretationsfragen mit Überschrift, genauer Gedichtzuordnung und eigenständiger Nummerierung dagegen gelungen dargeboten. Wünschenswert wäre also ein einheitliches, sich durch das ganze Arbeitsheft ziehendes Layout der Interpretationsfragen, die durch einfache Abhebungen vom Text z.B. durch Fett- oder Kursivdruck leichter erkennbar wären.

Layout

Oft beginnen die Kapitel mit einem Foto eines antiken Graffito, das darunter oder nach dem Kapiteltext als Apograph und/oder direkt als lateinischer Drucktext abgebildet ist; ist das Graffito selbst nicht am Seitenanfang abgedruckt, folgt es meist nach dem Lektionstext (z.B. Kapitel 3: Der Text beginnt auf S. 18, das Graffito folgt erst auf S. 20). Wahrscheinlich war hier die Überlegung leitend, den Lernenden selbst einen Entzifferungsversuch zu ermöglichen. Sollte die Lehrkraft sich allerdings gegen diesen entschließen, müssen die Schülerinnen und Schüler für den Drucktext meist umblättern, um den direkten Vergleich zu dem Graffito zu haben, was den Unterrichtsverlauf etwas stören kann. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, könnte die Lehrkraft das Graffito oder den Drucktext separat als Handout oder auf (digitaler) Folie zur Verfügung stellen. Dies wäre auch aus dem Grund wünschenswert, weil die im Heft gebotenen Schwarzweißfotographien der Originalinschriften durchweg eine so geringe Qualität aufweisen, dass eine Entzifferung (bes. auf den Seiten 13, wo auch die Umschrift fehlt, 15, 29, ebenfalls ohne direkte Umschrift) allein auf dieser Grundlage utopisch bleibt.

Anschließend folgen meist zwei lateinische Textauszüge, die ‒ wie in der Einleitung angegeben ‒ sich entweder thematisch entsprechen oder kontrastierend wirken. Die Textlänge beträgt zwischen 8 und 32 Versen; dadurch besteht die Möglichkeit, bei der Textauswahl auch flexibel auf die vorhandene Unterrichtszeit einzugehen.
Neben den Fotos der Graffiti findet sich mit Ausnahme von Kapitel 6 (in welchem dafür der Liedtext eingesetzt wird) in jedem Kapitel eine weitere Abbildung. Nicht immer wird diese durch die Aufgaben ausgewertet und dient somit teils als bloße Illustration, sofern sie nicht durch die Lehrkraft aufbereitet wird. Werden die Bilder allerdings durch die Aufgabenstellung miteinbezogen, ergeben sich sinnvolle Denkanstöße für die SchülerInnen (vgl. so weiter oben im Text der Verweis auf S. 28).

Online ‒ Material4

Die ersten drei der insgesamt acht Seiten des Online-Materials bieten zu den jeweiligen Kapiteln Hintergrundinformationen und Übersetzungen der Graffiti. Meist werden Anmerkungen zum Fundort des Graffitos oder weiterer (ähnlicher) Graffitis gemacht, Hinweise zu sprachlichen sowie metrischen Eigenheiten des Gedichts und weiterführende kulturelle Einblicke gegeben. Dieses Material ist noch schlichter aufbereitet als das Lektüreheftchen. Die weiteren Seiten bieten zwei weitere Kapitel im Stil des Arbeitsheftes mit den Titeln „Enttäuschte Liebe II: Exitstrategien“ und „Liebe: Süß und ohne Kampf und Ehrgeiz“. Der Aufbau dieser Zusatzkapitel entspricht derer des Arbeitshefts mit der Besonderheit, dass am Ende der Kapitel die Übersetzung der Graffitis abgedruckt ist. Diese Anordnung ermöglicht es der Lehrkraft, die Übersetzung abzutrennen.

4An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass für den Zugriff auf das Online-Material nicht nur der Zugangscode, der auf S. 4 der Ausgabe abgedruckt ist, sondern auch ein Online-Konto auf der Website des Verlags benötigt wird.

Fazit

Das in der Einleitung formulierte Ziel, Latein als lebendige Sprache erscheinen zu lassen und durch Herausarbeitung von anthropologischen Konstanten eine Brücke zwischen der Antike und unserer Zeit zu schlagen, haben die Autoren in dieser Ausgabe nur teilweise erreicht: Zwar wird in den Interpretationsfragen vermehrt eine Auseinandersetzung mit dem Text im Hinblick auf die heutige Gegenwartskultur gefordert, allerdings wurde das große Potential hinsichtlich des Einbezugs moderner Graffiti und Referenztexte nicht hinreichend ausgeschöpft. Auch das Layout ist in mehrfacher Hinsicht verbesserungswürdig.

Lobenswert hervorgehoben werden soll die Vielfalt der ausgewählten Texte sowie der Einbezug der antiken Graffiti, die das Arbeitsheft sicherlich für die adressierten Jugendlichen interessant gestalten und Motivation bieten. Auch die Interpretationsaufgaben leiten insgesamt gut zur philologisch grundierten Auseinandersetzung mit den Texten an. Insgesamt hätte der Band eine hochwertigere Ausstattung mit farbigen Abbildungen und gut lesbaren Reproduktionen der faszinierenden epigraphischen Zeugnisse aus den Vesuvstädten durchaus verdient.