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Rezension zu: "Cicero, Philippische Reden"

Paul Sommer-Weisel, Besprechung von: Hengelbrock, Matthias: Cicero, Philippische Reden. Reihe: Classica. Kompetenzorientierte lateinische Lektüre (Hrsg.: Kuhlmann, P.) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016, 96 S.


In dem vorliegenden Lektüreheft „Cicero, Philippische Reden“ bemüht sich Matthias Hengelbrock um die didaktische Aufbereitung des bereits mehrfach für den Schulgebrauch1 bearbeiteten und rezipierten Corpus der ciceronischen Orationes Philippicae. In seinem Bestreben zur Durchdringung dieses ebenso umfangreichen wie komplexen Redencorpus verfolgt der Autor einen multidimensionalen Ansatz, welcher auf die kompetenzorientierte Analyse dieses Schlüsselwerkes der lateinischen Literaturgeschichte abzielt. Zu den grundlegenden Verdiensten der vorliegenden Ausgabe zählt vor allem deren konsequente Ausrichtung an bereichsspezifisch formulierten Kompetenzstandards, welche zu Beginn des Lektüreheftes aufgeschlüsselt werden. Hierdurch erhalten die Schülerinnen und Schüler einen nach den Kategorien Text, Sprache und Kultur differenzierten Überblick über die im Verlaufe der Lektüre zu erwerbenden fach- wie materiespezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse. Eine schärfere begriffliche Distinktion zwischen den definitorisch voneinander geschiedenen Begriffen der Kompetenzen sowie der Bildungsstandards hätte an dieser Stelle die Einsichtigkeit der ausgewählten Kategorien bzw. der individuellen Lernziele noch erhöht.

Aufbau & Textauswahl

In didaktischer Hinsicht verspricht die Einleitung des Bandes eine schülergerechte Aufbereitung der ebenso selektiv wie repräsentativ zusammengestellten Redenexzerpte, wie sie bereits textueller Umfang sowie inhaltliches Spektrum der Philippischen Reden im Sinne der didaktischen Reduktion als Notwendigkeit erscheinen lassen. Das Herstellen eines lektionsübergreifenden Sinnzusammenhanges bewerkstelligt H. durch die umsichtige Auswahl inhaltlich kohärenter Passagen sowie deren kontextuelle Einbettung durch knapp gehaltene Einführungstexte zur inhaltlichen Vorentlastung, welche den „roten Faden“ in der Abfolge der Reden deutlich hervortreten lassen. Das inhaltliche Spektrum des Lektürebandes erstreckt sich dabei vom Beginn der Auseinandersetzung Ciceros mit seinem Widersacher Antonius (Lektion 1), ihrer sukzessiven Eskalation und Stilisierung als Kampf zwischen Freiheit und Sklaverei (wiederholt in den Lektionen 9, 11, 17) bis zum Unterliegen des Redners in der politischen Auseinandersetzung, seiner Proskription und seinem Tod, welcher über den Inhalt des eigentlichen Corpus der Reden hinaus durch einen antiken Nachruf kontextualisiert wird (Lektion 23)2. In diesem Zusammenhang hebt die Einbeziehung des Großteils der im Redencorpus enthaltenen einzelnen Orationes die vertiefte Lektüre H.s Ausgabe aus der Vielzahl diesbezüglicher Publikationen heraus.3 Vor diesem Hintergrund präsentiert sich H.s Ausgabe als gelungener Überblick über die Thematiken des Redencorpus, verliert dabei jedoch ebenso wenig die Darstellung der zentralen, immer wiederkehrenden Motive aus dem Blick. Die Absicht des Verfassers beim Erstellen der Textausgabe besteht laut Einleitung zuvorderst darin, die Schülerinnen und Schülern durch die Lektüre des Bandes einen Einblick in die Virtuosität der ciceronischen Rhetorik und die Leidenschaft des „letzten Republikaners“, welche dieser im Kampf für die von ihm hochgehaltene Staatsordnung an den Tag legte, gewinnen zu lassen, jedoch ebenfalls in die Tragik, welche das Scheitern der Politik Ciceros für den Verfasser der „Philippischen Reden“ bedeutete. In der Einleitung äußert der Verfasser darüber hinaus die Absicht, eine einseitig-deterministische Sicht auf die Ereignisse im historischen Umfeld der ciceronischen Reden zu überwinden, vielmehr möchte er das in diesen dargestellte tagespolitische Geschehen als dynamischen Prozess präsentieren, dessen mitunter verwirrend komplexe und widersprüchliche Züge als charakteristisch für die ausgehende römische Republik erscheinen müssen. Die hierzu erforderliche historische Verortung der Geschehnisse ermöglicht H. durch die Bereitstellung einer an den Eckpunkten orientierten chronologischen Übersicht über Leben und Werk des Staatsmannes (Marcus Tullius Cicero und seine Zeit, S. 8-9), deren Übersichtlichkeit eine Orientierung im historisch turbulenten Kontext ermöglicht. Die eingangs geäußerte Absicht des Verfassers wird von diesem durch die Präsentation des Redencorpus als „Tragödie in Fünf Akten“ jedoch bereits wieder selbst unterlaufen bzw. karikiert, indem die teilweise sehr unterschiedlichen Reden und politischen Umstände einem festgefügten und darüber hinaus wenig plausiblen, der aristotelischen Dramentheorie entlehnten Handlungsschema unterworfen werden (S. 10-11). Gemäß der ursprünglich beabsichtigten Darstellungsweise hätte eine offenere und an der Nachzeichnung des oft atemlosen politischen Tagesgeschehens im Rom der ausgehenden Republik orientierte lektionsübergreifende Konzeption möglicherweise einen didaktischen Mehrwert gebracht. Als gelungen hingegen kann die Auswahl relevanter Fachliteratur und deren Integration in das jeweilige Lektionsgeschehen gelten, beispielsweise in Gestalt der Präsentation konkurrierender Gliederungsmodelle der Philippischen Reden (vgl. S. 27).

Aufbereitung der Lektionen

Die inhaltliche Vorentlastung der einzelnen Lektionstexte, welche gemäß ihrer Schwierigkeit mit den Indikatoren A bis C gekennzeichnet sind, bewerkstelligt H.s Band vor allem durch eine umfangreiche Kommentierung der ausgangssprachlichen Passagen durch Vokabelangaben in margine, deren detaillierte Ausführlichkeit jedoch bisweilen das geforderte Maß überschreitet. Als schülerfreundlich erweist sich im Gegensatz hierzu die Bereitstellung eines vollständigen Indexes aller im Heft erscheinenden Vokabeln (S. 73-95), welcher nach Lektionstexten geordnet ist. Die Übersetzung der Originaltexte wird darüber hinaus durch die Erläuterung lektionsrelevanter syntaktischer Besonderheiten (im Heft mit S markiert) unterstützt. Zusätzlich entscheidet sich H. dafür, rekurrierende sprachliche Phänomene der ciceronischen Sprache in Form eines Indexes („Grammatikalische Stolpersteine“, S. 71) anzugeben. Eine Voranstellung dieser Prolegomena vor den Lektüreteil hätte deren unmittelbare Sichtbarkeit für die Schülerinnen und Schüler jedoch mit Sicherheit noch erhöht. Die inhaltliche Aufbereitung der Lektionstexte durch lektionsspezifische Aufgabenstellungen erfolgt überwiegend in Gestalt von Fragen auf der Textebene, wobei komplexere Interpretationsaufgaben mit Bezug auf den historischen Kontext sowie die zeitgenössische Ebene im Sinne des "Quid ad nos?" die Minderzahl bilden. An dieser Stelle überwiegen bei H. meist Fragestellungen zur Textstruktur sowie Überlegungen zu den abstrakten Wertkonzepten, welche in den Philippischen Reden zum Ausdruck kommen4. Lediglich in vier Lektionen (17, 23, 24, 25) ist von H. eine vertiefte Auseinandersetzung auch mit den angebotenen Rezeptionsdokumenten vorgesehen, welche sich dabei häufig auf Beschreibungen der abgebildeten Visualisierungen beschränken, wohingegen Aufgaben zum Gegenwartstransfer nur in zwei Lektionen enthalten sind (etwa der Vergleich der ciceronischen Freiheitspathos mit der Rhetorik Konrad Adenauers in Lektion 17). Wünschenswert wäre außerdem die Integration von weiterführenden ausgangssprachlichen Texten sowie pertinenter Aufgabenstellungen im Sinne der Binnendifferenzierung gewesen. Sicherlich können einige Fragestellungen gerade zum letzten Punkt von innovativen Lehrkräften noch weiter ausgestaltet bzw. ergänzt werden. Positiv hervorzuheben ist hingegen die sachgerechte und informative Unterfütterung der Lektionen mithilfe zahlreicher Erläuterungen und Sekundärtexte, welche die Verortung der Reden in ihrem historischen und kulturellen Kontext verdeutlichen und zu einer näheren Beschäftigung mit dieser faszinierenden Epoche einladen.

Layout

Das Layout des Bandes basiert auf den gestalterischen Leitlinien der Classica-Reihe und weist somit deren genuine Stärken, allerdings auch inhärente Schwächen auf. Zu den Vorzügen gehört hierbei zunächst die für das Schülerverständnis ungemein nützliche Praxis, für die Bearbeitung der jeweiligen Lektion relevante grammatikalische Besonderheiten wie stilistische Phänomene konkrete Hinweise in situ zu geben. Ein durch das spezifische Layout der Classica-Reihe „vererbtes“ Problem stellt hingegen die methodologisch bedenkliche Entscheidung dar, diese zentralen Lektionsbausteine miniaturisiert als wenig prägnante Seitenunterschriften zu präsentieren. Von zukunftsweisendem Charakter erscheint hingegen die Entscheidung des Verfassers, den Schülerinnen und Schülern durch Hilfestellungen die selbstständige Erschließung einzelner Vokabeln auf der Basis regulärer Gesetzmäßigkeiten zu ermöglichen, welche durch einen Verweis auf den Werkanhang gekennzeichnet sind. Hinsichtlich seiner Repräsentativität erweist sich das zur visuellen Untermalung der Lektionstexte ausgewählte Bildquellenmaterial noch als erweiterungsfähig (im Heft enthalten sind 16 meist kleinformatige Abbildungen auf 96 Seiten, hiervon fünf Münzdarstellungen). An dieser Stelle hätte ein stärkeres Rekurrieren auf die mannigfaltigen Rezeptionsdokumente zu den Philippischen Reden unter Zuhilfenahme weiterer Quellengattungen auch in Hinblick auf wandelnde Rezeptionsformen weitere Impulse geben können.

Fazit

Insgesamt dürfen die Schülerinnen und Schüler sich bei der Beschäftigung mit der Hengelbrockschen Bearbeitung der Philippischen Reden jedoch auf eine ebenso thematisch diversifizierte wie an den Erkenntnissen der kontemporären fachdidaktischen Forschung orientierte Lektüre mit sinnvollen Impulsen zur selbstständigen Auseinandersetzung mit der Thematik freuen, welche entgegen der die Einleitung beschließenden Kautel des Autors („An dieser Stelle pflegt man seinem Publikum viel Spaß bei der Lektüre zu wünschen. Dazu bieten Ciceros Philippische Reden […] keinen Anlass“) die gewinnbringende und auch freudige Beschäftigung mit diesem Schlüsselwerk Ciceros durchaus zu befördern geeignet ist.

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1 Siehe v.a. Rechentin, Karsten / Dieterle, Barbara: Cicero: Philippische Reden (Stuttgart 2014) sowie Kliemt, Stefan: Ciceros Philippische Reden. Eine Textauswahl (Göttingen 2008).

2 Die betreffende Passage entstammt dem Fragment 61 (Sen. Suas. 6,17) aus dem 120. Buch von Ab urbe condita libri des Livius.

3 Die Lektionstexte entstammen den Reden 1 (1-4; 29;31; 33; 35), 2 (44-47; 51-53), 3 (3-5; 28-29; 34-36), 4 (11), 5 (1-3;33), 6 (3-4; 17-18), 7 (9; 19; 21; 25), 8 (20-23) und 13 (5-6; 15-16; 49). Die Inhalte der übrigen Reden sind auf S. 27 synoptisch aufgelistet.

4 Vgl. Lektionen 3-16 sowie 18-22.