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Zweiter Tag des Kontaktstudiums am 21.07.2017

1. Helden und Antihelden - Tradition und Innovation


2. Tagungsablauf


3. Auswahlbibliographie

Helden und Antihelden ‒ Tradition und Innovation in Kinder- und Jugendmedien der Gegenwart

Neuere Studien zu Konzeptionen des Heroischen, zu Helden und Antihelden in unterschiedlichen Literaturen und Kulturen haben erwiesen, dass solche Konzeptionen starkem Wandel unterworfen sind und dabei niemals wertneutral eingesetzt werden.

Paradigmatisch verkörpert der Held etwa in der europäischen Antike sowie im Mittelalter auf außergewöhnliche Weise Tatkraft und Tugend. Einerseits ist der Held hierbei zwar in physischer wie auch psychischer und sozialer Hinsicht oft ein herausragender Repräsentant der gesellschaftlich etablierten Werte und Normen, der seiner Umwelt in teilweise radikaler Weise vorzuführen vermag, wofür es sich zu kämpfen und im Zweifelsfall auch zu sterben lohnt, etwa die Heimat, den sozialen Verband, die Liebe, die Gerechtigkeit oder andere Prinzipien. Andererseits werden durch den Heros ‒ bereits in den homerischen Epen mit dem Musterbeispiel des Achill in der Ilias ‒ oftmals Konflikte mit gesellschaftlichen Normen offenbar. In seinen Handlungen vollziehen sich Grenzerfahrungen und Transgressionen, die den Helden gewissermaßen zur Kontaktzone zwischen alter und neuer Ordnung werden lassen, wo Normen neu verhandelt, gebrochen oder neu gebildet und stabilisiert werden.

Damit kommt Kunst und Literatur eine doppelte Rolle in der Vermittlung von Heldenstoffen zu: Einerseits sind sie Medium der Ikonisierung oder gar Glorifizierung eines Heros, andererseits haben sie oftmals eine pädagogische Funktion und sollen zur Nachahmung oder Diskussion der an ihm zu Tage tretenden Verhaltensweisen dienen. Somit kommt dem Held auch einer außerliterarische, gewissermaßen soziale, gesamtgesellschaftliche Bedeutung und Wirkdimension zu.

Der Held bietet literarisch wie künstlerisch Produktiven durch seine Taten dabei Stoff zur Verarbeitung und die Möglichkeit zur quasi-heroischen Verewigung des eigenen Werkes.
Aus rezeptionsästhetischer wie soziokultureller Sicht rückt über den Wirkradius der Helden gewidmeten Werke das Publikum in den Blick, das als weitere Bedingung für die Geburt des Helden gelten kann.
Auch wenn gerade seit Ende des zweiten Weltkriegs zumindest im deutschen Sprachraum der Heldenbegriff selbst zunehmend in Frage gestellt wird und im Kontext des Pluralismus Heldenbilder stärker denn je Aushandlungsprozessen unterworfen sind, so prägt das Bild von antiken und mittelalterlichen Helden nach wie vor unsere quasi als anthropologische Grundkonstante erscheinenden Sehnsüchte nach „echten Helden“ – wie auch immer diese auszusehen haben – bzw. allgemein unsere Lust an außerordentlichen Figuren und Verhaltensweisen.

Dies wird in der Gegenwartskultur insbesondere in der modernen Kinder- und Jugendliteratur und hier namentlich in der Fantasy-Literatur sichtbar. Hier leben die antiken Helden gewissermaßen als Phänotypen fort und werden zu Identifikationsfiguren mit affirmativer Vorbildfunktion, die maßgeblich die Sympathie des Lesers lenken und beeinflussen. Wie in der Antike handelt es sich fast immer um Transgressionsgeschichten oder Heldenreisen, die über Identitätswechsel der Figuren von deren selbstbestimmten Ausbrechen aus gesellschaftlichen Zwängen erzählen.

Anhand solcher, oftmals hybridisierter Protagonisten kann der Autor Modelle der Wirklichkeit entwerfen, die Kinder mit abstrakteren Formen des Moralischen vertraut machen und sie zu reflektierter Auseinandersetzung mit Werten und Lebensentwürfen anregen. Die Begegnung mit literarischen Helden vermag so einen zentralen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung zu leisten.

Aktuelle Beispiele solcher Heldenfiguren, die eine ganze Generation jugendlicher Rezipienten prägen, sind Harry Potter und Percy Jackson. Die Orientierungshilfen, die solche Texte der jungen Leserschaft für ihr eigenes Leben zu geben vermögen, und das Bedienen des „Lustbedürfnisses“, welches die Lektüre moderner Heldenliteratur ermöglicht, entsprechen somit ganz dem Horazischen prodesse et delectare (Horaz, Epistel 2,3 [Ars poetica], 333f.). Der Beitrag solcher als „Mythopoesie“ bezeichneter Aktualisierungen der antiken Mythologie im Gewand der postmodernen Phantastik zum literarischen Lernen wird in der literaturwissenschaftlichen wie didaktischen Forschung eifrig diskutiert. Diese und verwandte Fragestellungen im Kontext der Neuverhandlung des Heroischen und Antiheroischen in den weit verzweigten Medienverbünden des neuen Millenniums eröffnen neue Perspektiven für einen ertragreichen phasenübergreifenden und fächerverbindenden Dialog im Rahmen des Zweiten Tages des Kontaktstudiums an der LMU München.
Zielführend wäre hier auch ein Dialog mit dem seit einigen Jahren DFG-geförderten, interdisziplinären Sonderforschungsbereich 948 an der Universität Freiburg (http://www.sfb948.uni-freiburg.de/). Dieser befasst sich aus den verschiedensten fachlichen wie auch methodischen Blickwinkeln mit „Helden ‒ Heroisierungen ‒ Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne“ und bringt regelmäßig neue Publikationen zu dem Thema heraus.

Ablauf

Beginn 12.30 Uhr (Kleine Aula, A 120, Hauptgebäude LMU)

Ankommen, Kaffee, Begrüßung der Teilnehmer/innen sowie Vorstellung der Hauptvortragenden Dr. Mikota durch Prof. Janka (alte Sprachen)

13.00 Uhr – Plenarvortrag (Kleine Aula, A 120, Hauptgebäude LMU)

Dr. Jana Mikota (Siegen): Helden und Anti-Helden in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur; Diskussion moderiert von Prof. Ballis (Deutschdidaktik)

14.00 -15.30 Uhr – Workshop-Phase

Workshop 1: Deutsch

(Raum B006)

Workshop 2: Englisch

(Raum F007)

Workshop 3: Latein

(Raum M203)

Workshop 4: Französisch

(Raum M014)

"Heute ein Held. Ein Live-Rollenspiel (LARP) zu heldenhaftem Handeln";

(Katrin Geneuss, München)

max. Teilnehmerzahl: 16

"Don’t be a bully! Be a hero!
Mit Literatur und Videoclips soziales Heldentum kennen lernen und fördern"

(Johanna Marks, Münster)

"Griechisch-römische Heroen und deren Transformation zu Superhelden am Beispiel eines rezeptionsorientierten Lernzirkels zu Ovids Metamorphosen (10. Klasse, praxiserprobt)"

(Dr. Michael Stierstorfer, Regensburg/Fürth)


“Les héros, ce sont les autres?“

(StD Josef Zellner, München)

 

15.30 Uhr – Kaffeepause (Kleine Aula, A 120, Hauptgebäude LMU)


16.00-16.30 – Feedback und Schlussmoderation durch Prof. Dr. Markus Janka (Fachdidaktik der Alten Sprachen) (Kleine Aula, A 120, Hauptgebäude LMU)

 

Workshop 1

Der Goldene Saal erstrahlt in hellem Glanz und die Gäste feiern ausgelassen. Doch dann geraten viele der Anwesenden in Lebensgefahr. Wie reagiert eine Heldenfigur in einer solchen Situation? Und: Was macht eigentlich einen Helden oder eine Heldin aus?
In diesem Rollenspiel, das ohne Publikum und ohne Textvorlage gespielt wird, gestalten die TeilnehmerInnen die ihnen ausgehändigten Rollen. Im Zusammenspiel mit anderen entsteht die Geschichte, die von kurzer Vor- und Nachbereitung eingerahmt wird.

Voraussetzung für die Teilnahme an dem Workshop ist die Bereitschaft, das Spiel durch Interaktion und Improvisation aktiv mitzugestalten.

Die Teilnehmerzahl ist beschränkt auf 16.

Workshop 2

Außenseitertum und Mobbing sind traurige und leider noch zu häufige Bestandteile des Schulalltags. Dabei gibt es diverse erfolgreich erprobte pädagogische Ansätze, diesem Phänomen zu begegnen. Zentral für deren Gelingen ist das soziale Engagement couragierter Mitschüler_innen, die für die Betroffenen nicht selten zur rettenden Heldin avancieren und hierfür sogar ausgezeichnet werden – zum Beispiel mit dem BBC teen award.
In diesem Workshop soll veranschaulicht und diskutiert werden, auf welche Weise der Englischunterricht einen Beitrag zum Thema Mobbing/ soziales Heldentum leisten kann. Hierzu werden Palacios Roman Wonder (2012) und verschiedene Videoclips unter literatur- und mediendidaktischen Gesichtspunkten vorgestellt.

Workshop 3

Die weltweit erfolgreichen Romanserien „Percy Jackson“, „Schwein gehabt, Zeus!“, „Jack Perdu“ und
die „Göttlich“-Trilogie sind herausragende Belege für die Dominanz der griechisch-römischen Mythologie in der gegenwärtigen Alltagskultur. Diese mythopoetischen Werke, die viele Schüler kennen und schätzen, greifen spielerisch-eklektisch Motive und Einzelelemente aus Ovids Metamorphosen auf und passen diese Mytheme modernen Werten und Normen an. Darin werden scheinbar antike Helden präsentiert, die jedoch bei genauerer Betrachtung weniger dem Ideal des antiken Heroentums, wie dies z.B. in Ovids Metamorphosen präsent ist, entsprechen, sondern eher als zeitgenössische Superhelden mit konservativ-kleinbürgerlichem Weltbild inszeniert werden. Dabei erweist es sich als lohnender Untersuchungsgegenstand, die modernen und antiken Heldenkonzeptionen anhand eines kompetenzorientierten Unterrichtsmodells zu vergleichen.
Im Workshop werden daher anhand eines praxiserprobten Lernzirkels, den jeder Teilnehmer als Unterrichtsmaterial ausgehändigt bekommt, didaktische Konzepte zum zeitgemäßen Einsatz von antiken Mythen und deren Rezeptionsdokumenten vorgestellt und besprochen. Diese fußen auf einer lehrplankonformen Sequenz zu Ovids Metamorphosen in der Jahrgangsstufe 10. Den Schwerpunkt des Konzepts bilden folgende (göttliche) Heroen: Theseus, Perseus, Hercules, Orpheus und Apollo. Wie sich in der Praxis gezeigt hat, können diese Superhelden aus den Rezeptionsdokumenten für Schüler als Motivationshilfe zum Übersetzen und Interpretieren der für Heranwachsende oft sperrigen Metamorphosen dienen.

Workshop 4

“Les héros, ce sont les autres?“

Unter diesem Titel wird sich der Workshop für das Unterrichtsfach Französisch zunächst in einem einleitenden Referat exemplarisch der diachronen Frage nach Konstituenten von Helden und Heldentum in Antike, Mittelalter und Gegenwart sowie den unterschiedlichen Affinitäten der drei literarischen Großgattungen zum Heldentum widmen, um sodann kontrastiv auf Probleme jugendlicher Heldenerwartung der heutigen Schülerinnen und Schüler einzugehen.

Im Mittelpunkt des Workshops werden jedoch konkret kompetenzdidaktisch nutzbare, ausgearbeitete Konzepte stehen. Tania Sollogoubs „Le dernier ami de Jean Jaurès“ fragt nach den Implikationen und Bezugsgrößen staatspolitisch innovativen Engagements einer historischen Gestalt. Patrick Modianos „Dora Bruder“ zeigt im Oszillieren zwischen lückenhafter Faktizität und ergänzender Fiktionalität das Anti-Heldentum der jüdischen Heldin. Marie-Sabine Rogers „La tête en friche“ untersucht unspektakuläres, aber subkutan heldenhaftes Verhalten unter dem Aspekt schlechter Lebensstartbedingungen, das mittels intergenerationeller Hilfe ungeahnte Sinnpotentiale freizusetzen vermag. François Lelords „Le voyage d’Hector ou la recherche du bonheur“ beschreibt eine Art Heldentum ex negativo im tastend-sinnsuchenden Ungefähr, das sich aus dem anthropologisch unersättlichen Glücksbedürfnis des Menschen speist. Studierende werden dazu ihre kompetenzdidaktischen Ansätze präsentieren.

 

Auswahlbibliographie

Sabine Anselm: Zeitgemäße Helden als Modelle für morgen?! Überlegungen zur Rezeption von (antiken) Heldenbildern in einem (post)modernen Literaturunterricht, in: Markus Janka/Michael Stierstorfer (Hrsgg.): Verjüngte Antike – Griechisch-römsiche Mythologie und Historie in zeitgenössischen Kinder- und Jugendmedien, Heidelberg 2017, S. 117–134.

Achim Aurnhammer, Barbara Korte (Hrsg.): Fremde Helden auf europäischen Bühnen (1600 – 1900), Würzburg 2017.

Achim Aurnhammer, Ulrich Bröckling (Hrsg.): Vom Weihegefäß zur Drohne Kulturen des Heroischen und ihre Objekte, Würzburg 2016.

Ronald G. Asch, Michael Butter (Hrsg.): Bewunderer, Verehrer, Zuschauer: Die Helden und ihr Publikum, Würzburg 2016.

Camille Esmein-Sarrazin : L’essor du roman: discours théorique et constitution d'un genre littéraire au XVIIe siècle, Paris 2008.

Rolf-Bernhard Essig: Wann ist ein Held ein Held? Über besondere Menschen, ihren Mut, ihre Widersprüche, München 2010.

Christine Garbe: Von Helden und Anti-Helden. Zwei gegensätzliche Erzählmuster in der populären Literatur für Jungen, in: Gesine Boesken/Uta Schaffers (Hgg.): Lektüren 'bilden'. Lesen – Bildung – Vermittlung: Festschrift für

Erich Schön, Münster 2013, 220–241.

Ralf von den Hoff, Felix Heinzer, Hans W. Hubert, Anna Schreurs-Morét (Hrsg.): Imitatio heroica Heldenangleichung im Bildnis, Würzburg 2015.

Fabian Horn: Held und Heldentum bei Homer: Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung, Tübingen 2014.

Matthias Kniep: Die drei Zeitalter des Superhelden-Comics (Gold, Silber und Bronze), Kiel 2009.

Michael Krejci: Unzeitgemäß oder zeitgemäß? Helden in der Kinder- und Jugendliteratur, in Gerhard Kaiser (Hg.): Der unzeitgemäße Held in der Weltliteratur, Heidelberg 1998, 279–296.

Franziska Künzelen, Anna Mülherr, Heike Sahm: Themenorientierte Literaturdidaktik. Helden im Mittelalter, Göttingen 2014.

Stephanie Lethbridge: Der Orden des Phönix: Der Zauberstab und die Rückkehr des Helden in der britischen Populärliteratur, in: Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Ringvorlesung des SFB 948 „Helden - Heroisierungen – Heroismen“ im Wintersemester 2014/15, 04.02.2015, Freiburg (Manuskript) 2015.

Heinz-Peter Preußer: Mythos als Meta- und Konnotationsnarrativ – Antikenrezeption und Popkultur im Kino seit dem Jahr 2000, in Brigitte Krüger, Hans-Christian Stillmark (Hg.): Mythos und Kulturtransfer. Neue Figurationen in Literatur, Kunst und modernen Medien, Bielefeld 2013, 61–106.

Friederike Pronold-Günthner: Helden und Heldinnen im Jugendbuch als Identifikationsfiguren. Ergebnisse einer empirischen Erhebung in den Klassenstufen 5, 7 und 9, in Monika Plath/ Karin Richter (Hgg.): Literatur für Jungen – Literatur für Mädchen. Wege zur Lesemotivation in der Schule, Baltmannsweiler 2010, 63–90.

Britta Rolfes: Helden(bilder) im Wandel: die Nibelungenhelden in neueren Adaptionen der Kinder- und Jugendliteratur, Baltmannsweiler 2005.

Dietmar Voss : Heldenkonstruktionen: Zur modernen Entwicklungstypologie des Heroischen, in : KulturPoetik 11/2, 2011, S. 181-202.

Reinhard Wilczek: Von Sherlock Holmes bis Kemal Kayankaya: Kriminalromane im Deutschunterricht, Seelze 2007.