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Wandel des Weltbilds

Franz Peter Waiblinger

Wandel des Weltbildes – Naturwissenschaftliche Fragen im Lateinunterricht

"Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht", schreibt Dietrich Schwanitz in seinem Buch "Bildung. Alles, was man wissen muss". Bei der Lektüre dieses Bestsellers kann man zwar das Augenzwinkern des Autors nicht übersehen, aber es ist doch auch ein ernster Versuch, konkret zu beschreiben, welche Kenntnisse man bei einem gebildeten Menschen erwarten darf. Unter Bildung versteht Schwanitz in traditioneller Weise literarische, historische, musische, ästhetische Bildung, kurz: alles, was die Person formt, ihre Welterfahrung und -deutung prägt. Man mag über diesen Bildungsbegriff streiten – dass naturwissenschaftliche Kenntnisse erst durch Interpretation und Bewertung zu Momenten der Menschenbildung werden, dürfte kaum jemand bezweifeln. Im Gymnasium kommt diese Seite der naturwissenschaftlichen Fächer oft zu kurz. Ein Abiturient, der den Physik-Leistungskurs besucht hat, sollte zum Beispiel auch über den Wandel vom ptolemäischen zum neuzeitlichen Bild des Kosmos Bescheid wissen. Doch wer einem Schüler solche für die Genese des modernen Weltbildes entscheidende Fragen stellt, wird nicht immer eine Antwort bekommen. Dabei ist die Geschichte der Fragen nicht weniger wichtig als die aktuellen Antworten, die ja immer nur etwas Vorläufiges sind, da der wissenschaftliche Fortschritt keine Akkumulation von Wahrheiten, sondern die ständige Korrektur von Irrtümern oder, positiv ausgedrückt, eine Folge wissenschaftlicher Revolutionen ist.

Epochale Wendepunkte des europäischen Denkens sollten jedem Gymnasiasten vertraut sein, weil diese Kenntnisse erst ermöglichen, das für die Moderne konstitutive, spezifische Verhältnis zur Welt zu reflektieren und von anderen Kulturen abzuheben, die von der abendländischen Wissenschaft nicht berührt worden sind.

Weil viele grundlegende Texte des europäischen Denkens in lateinischer Sprache abgefasst sind, bietet sich im Lateinunterricht die Chance, den naturwissenschaftlichen Unterricht um diese von den naturwissenschaftlichen Fächern oft vernachlässigte historische Dimension zu bereichern. So kann man zum Beispiel mit einigen wenigen Texten von Kopernikus, Tycho Brahe und Newton Grundzüge des Wandels vom antik-mittelalterlichen zum modernen Weltbild so vermitteln, dass der schwierige Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts unmittelbar deutlich wird.

Als Ausgangstext eignet sich besonders der Commentariolus (Nicolai Copernici de hypothesibus motuum caelestium a se constitutis commentariolus), ein früher, zwischen 1507 und 1514 entstandener handschriftlicher Entwurf des Kopernikus (1473-1543), weil hier die antiken Vorstellungen von der Struktur des Kosmos in aller Kürze referiert werden.

 

In der Vorrede der Schrift heißt es:

Ich sehe, dass unsere Vorfahren vor allem deswegen eine Vielzahl von himmlischen Sphären angenommen haben, um die bei den Gestirnen augenscheinliche Bewegung in ihrer Regelmäßigkeit zu retten. Es schien nämlich völlig abwegig, dass sich ein Himmelskörper in seiner vollkommenen runden Gestalt nicht immer gleichmäßig bewege. Sie hatten aber bemerkt, es könnte sein, dass auch durch Zusammensetzung und Zusammenwirken von regelmäßigen Bewegungen der Anschein entsteht, es bewege sich etwas in unregelmäßiger Weise an irgendeinen Ort.

Obwohl sich Kallipos und Eudoxos zwar darum bemühten, dies durch konzentrische Sphären auszuführen, konnten sie auch damit nicht für jede Sternbewegung eine Erklärung geben, nicht nur für die Phänomene, die im Bereich der Kreisbahnen der Sterne erscheinen, sondern auch dafür, dass uns die Sterne bald nach oben zu steigen, bald herabzusteigen scheinen, was eine konzentrische Bewegung keineswegs erlaubt.

Das antike Axiom einer gleichmäßigen Kreisbewegung der Himmelskörper war so tief verankert, dass es auch durch die reale Beobachtung nicht erschüttert werden konnte, obwohl der Blick zum Himmel zeigte, dass die Planeten sich eben nicht auf gleichförmigen Kreisbahnen bewegen, sondern stehenbleiben, umkehren und Schleifen vollziehen. Um die Phänomene zu retten, erfand man raffinierte Konstruktionen, die Augenschein und Axiom versöhnten. Kopernikus erwähnt zuerst die Sphärenvorstellung, die von Eudoxos von Knidos (ca. 400-350 v. Chr.) entwickelt und von Kallipos (2. Hälfte des 4. Jh.) weiter ausgebaut wurde. Eudoxos setzte die Erde in den Mittelpunkt der kugelförmigen Welt. Am Inneren der sie umgebenden Kugelfläche (Sphäre) waren seiner Meinung nach die Fixsterne befestigt. Der Fixsternhimmel drehte sich in 24 Stunden gleichmäßig um seine Achse. Auch die Planeten befanden sich auf Sphären, jedoch nicht nur auf einer, sondern auf jeweils mehreren, deren Achsen gegeneinander geneigt waren. Auf diese Weise konnte ein Planet trotz seiner Kreisbahn scheinbare Schleifenbewegungen ausführen. Eudoxos benötigte 27 Sphären.

Dieses Modell wurde von Kallipos, der 34 Sphären annahm, und von Aristoteles, der es auf 56 Sphären brachte, verfeinert. Aristoteles verstand die Sphären als materielle Erscheinungen, die ihre Bewegung letzten Endes durch die Umdrehung des Fixsternhimmels erhielten, der seinerseits wieder vom unbewegten Beweger in Schwung gehalten wurde. Die Bewegung der Himmelskörper setzt die Existenz der Gottheit, des unbewegten Bewegers, voraus. Diese aus der kosmologischen Theorie abgeleitete Notwendigkeit Gottes war ein großes Hindernis für die zu Beginn der Neuzeit aufkommenden neuen Weltmodelle.

 

Kopernikus zeigt nun, dass mit den konzentrischen Sphären die Unregelmäßigkeiten der Planetenbahnen doch nur ungenau dargestellt werden konnten:

Deshalb schien die Meinung richtiger, dies werde durch exzentrische Sphären und Epizykel bewirkt, eine Auffassung, die vom größten Teil der Philosophen geteilt wurde. Doch was von Ptolemäus und den meisten anderen hier und dort darüber überliefert wurde, das kann man sehr bezweifeln, obwohl es der regelmäßigen Bewegung entspricht. Denn es genügte nur dann, wenn man sich auch gewisse Ausgleichskreise vorstellte, durch die sich zeigte, dass ein Stern sich weder auf seinem Deferenten noch in seinem eigentlichen Mittelpunkt mit immer gleichmäßiger Geschwindigkeit bewegt. Daher schien eine Betrachtung dieser Art nicht hinreichend vollkommen und nicht genügend übereinstimmend mit der Theorie."

Für die Geschichte der Astronomie wurde dieses Modell sehr viel wichtiger. Es war 1400 Jahre unangefochten gültig und konnte die beobachteten Bewegungen der Planeten besser darstellen als das Sphärenmodell. Mit diesem Weltmodell ist der Name des Ptolemäus verbunden, der in Alexandrien lebte und nach 160 n. Chr. starb. Sein Weltmodell unterscheidet sich vom eudoxischen vor allem in drei wesentlichen Punkten:

  1. Er verwendet Epizykel, die Apollonius von Perge (262-190 v. Chr.) in die Astronomie eingeführt hatte.
  2. Er nimmt exzentrische Kreise an, nach dem Vorbild von Hipparch (160-125 v. Chr.).
  3. Er führt das punctum aequans ein, einen Ausgleichspunkt, von dem aus die Geschwindigkeit eines Planeten konstant erscheint.

Das Ptolemäische Weltbild hat bis zum Beginn der Neuzeit gegolten. Es hielt an dem antiken Axiom fest, dass Himmelkörper sich nur auf Kreisbahnen bewegen können. Der Himmel war damit zwar kompliziert geworden, aber die Himmelsphysik, die sich von der irdischen Physik wesentlich unterschied, konnte damit gerettet werden. Der Weg zur Einheit der Physik dauerte lange, weil hier nicht nur naturwissenschaftliche Positionen gewechselt werden mussten, sondern das gesamte Weltbild, vor allem die Gottesvorstellung neu gefasst werden musste. Darüber kann man sich am besten bei Hans Blumenberg (Die Genesis der kopernikanischen Welt) informieren.

Kopernikus stellt das aristotelische Weltbild einerseits radikal in Frage, andererseits bleibt er ihm in einigen grundlegenden Annahmen doch noch verhaftet. So ist für ihn der ptolemäische Ausgleichspunkt insofern ein Problem, als die gleichmäßige Bewegung dadurch nur als eine scheinbare, aber nicht reale erwiesen wird. Kopernikus hält an der gleichmäßigen Geschwindigkeit der Himmelskörper als unumstößlicher Voraussetzung fest und löst das Problem dadurch, dass er ein kompliziertes System von exzentrischen Kreisen und Epizykeln annimmt.

In den folgenden Petitiones ("Forderungen", "Axiome") wird nun das neue Weltbild in äußerster Knappheit entworfen:

Als ich daher dies wahrgenommen hatte, dachte ich oft darüber nach, ob vielleicht eine vernünftigere Art von Kreisen gefunden werden könne, von denen der ganze Unterschied im Erscheinungsbild abhängen würde, wenn sie sich nämlich in sich gleichmäßig bewegten, wie es die Theorie der vollkommenen Bewegung erfordert. Ich hatte mich an eine ziemlich schwierige und fast unlösbare Aufgabe gemacht. Endlich bot sich (ein Weg), wie dies mit wenigeren und viel besser zusammenpassenden Annahmen als es einst gelehrt wurde, geschehen könnte, wenn man uns einige Forderungen, die man Axiome nennt, zugesteht. Sie folgen in dieser Reihenfolge:

  1. Forderung: Nicht alle Himmelskreise oder Sphären haben ein und denselben Mittelpunkt.
  2. Forderung: Der Mittelpunkt der Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern nur der Mittelpunkt der Schwere und des Mondkreises.
  3. Forderung: Alle Bahnkreise führen um die Sonne, als stünde diese in der Mitte von allem, und deswegen liegt der Mittelpunkt des Kosmos in der Nähe der Sonne.
  4. Forderung: Das Verhältnis des Abstands von Sonne und Erde zur Höhe des Fixsternhimmels ist kleiner als das Verhältnis des Halbmessers der Erde zum Abstand der Sonne, und zwar um so viel, dass dieser im Verhältnis zur Höhe des Fixsternhimmels unmerklich ist.
  5. Forderung: Alles was am Fixsternhimmel an Bewegung erscheint, geht nicht von diesem selber, sondern von der Erde aus. Die Erde dreht sich also mitsamt den nächsten Elementen in täglicher Bewegung einmal ganz um ihre unverrückbaren Pole, bei ständiger Unbewegtheit des Fixstern- und äußersten Himmels.
  6. Forderung: Alles was für uns an Bewegungen bei der Sonne sichtbar wird, ergibt sich nicht kraft ihrer selbst, sondern kraft der Erde und des Bahnkreises, mit dem wir uns um die Sonne drehen, so wie es bei irgendeinem anderen Stern ist. Und so bewegt sich die Erde in mehreren Bewegungen.
  7. Forderung: Dass bei den Wandelsternen Rückläufigkeit wie Vorrücken sichtbar wird, ergibt sich nicht aus ihnen selbst, sondern von der Erde aus. Die Bewegung der Erde allein reicht also für so viele verschiedenartige Erscheinungen am Himmel aus.

Im einleitenden Satz zeigt sich klar, dass Kopernikus das aristotelische Axiom der gleichmäßigen Kreisbewegung retten will. Insofern ist das Revolutionäre seiner Theorie in gewisser Weise rückwärtsgewandt.

Die 1. Forderung ergibt sich aus der wahrnehmbaren Unregelmäßigkeit der Bewegungen am Himmel, die in antiker Tradition durch die Annahme von exzentrischen Kreisen auf gleichförmige Bewegungen zurückgeführt werden musste.

Mit der 2. Forderung wird das aristotelische und das ptolemäische Weltbild in einem entscheidenden Punkt außer Kraft gesetzt. Gleichwohl kann sich Kopernikus auch mit dieser Auffassung auf antike Theorien berufen: auf Aristarch und auf den Pythagoreer Philolaos.- Die Erde hatte nun zwar ihre herausgehobene Position in der Mitte der Welt verloren, andererseits war sie jetzt ein Himmelskörper geworden. Damit wurde der Unterscheidung von himmlischer und irdischer Physik eine wesentliche Grundlage entzogen.

Die 3. Forderung entspricht Aristarchs heliozentrischem Weltbild, auch wenn dieser annahm, dass die Sonne genau im Mittelpunkt des Kosmos steht.

In der 4. Forderung wird zum erstenmal von der unermesslichen Entfernung der Fixsterne gesprochen, die in der Antike immer zu nah angesiedelt wurden (nur Archimedes hatte eine richtigere Vorstellung von den Dimensionen).

In der 5. Forderung wird der radikale Bruch mit Aristoteles formuliert, weil nun nicht mehr die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt steht und weil die Erde um sich selbst rotiert, während der Fixsternhimmel unbewegt ist.

Trotz der Abweichungen von Aristoteles ist die Theorie des Kopernikus noch von aristotelischen Axiomen bestimmt. Er erfüllt die aristotelische Forderung nach Kreisbahnen der Himmelskörper und hält auch noch an der Vorstellung materieller Sphären fest. Ein Vergleich zwischen ptolemäischem und kopernikanischem Modell zeigt, dass es sich im wesentlichen um einen Austausch der Positionen von Sonne und Erde handelt. Die aristotelische Trennung von himmlischer und irdischer Physik bleibt bestehen. Das neue System stimmt mit den beobachtbaren Bahnen der Himmelskörper nicht wesentlich besser überein als die antiken Systeme.

Erst mit Tycho Brahe, Galilei, Kepler, Descartes und Huygens beginnt sich die Physik von Aristoteles abzuwenden; vollendet wird diese neue Physik von Newton, der die klassische Himmelsmechanik schafft.

Eine wichtige Station auf diesem Weg war Tycho Brahes Beobachtung einer Supernova im Jahr 1572. Er erkannte dadurch, dass die Theorie des Aristoteles, am Himmel könne es keine Veränderungen geben, falsch war.

Als ich im vorigen Jahr, am 11. November, am Abend nach Sonnenuntergang nach meiner Gewohnheit bei heiterem Himmel die Sterne beobachtete, sah ich fast genau über meinem Kopf einen neuen und ungewöhnlichen Stern leuchten, der gegenüber den anderen ziemlich auffiel. Und da es mir, der ich fast seit meiner Kindheit alle Sterne des Himmels genau kannte (denn in dieser Kenntnis steckt keine besondere Schwierigkeit), völlig klar war, dass an dieser Stelle des Himmels niemals vorher ein Stern aufgetreten war, nicht einmal ein winziger, geschweige denn ein Stern von so auffälliger Helligkeit: da geriet ich darüber in eine solche Verwunderung, dass ich mich nicht schämte, an der Glaubwürdigkeit, die man den eigenen Augen zuerkennen muss, zu zweifeln. Als ich aber auch von Seiten anderer, denen ich die Stelle gezeigt hatte, bemerkt hatte, dass man sehen könnte, dass dort wirklich ein Stern erschien, da hatte ich keinen Zweifel mehr. Es handelte sich gewiss entweder um das größte Wunder unter allen Erscheinungen, die seit Beginn der Welt in der ganzen Natur aufgetreten waren, oder ein Wunder, das jedenfalls dem vergleichbar war, das, wie die heiligen Prophezeiungen bezeugen, im Anhalten des Sonnenlaufs, das durch die Gebete des Josua erreicht worden war (Josua 10,12-13 beim Sieg der Istraeliten über die Amoriter), oder bei ihrer Verfinsterung zur Zeit des himmlischen Opferlamms geschehen ist.

Denn für alle Philosophen ist es eine ausgemachte Tatsache, und die Wirklichkeit selbst zeigt es sehr deutlich, dass es in der Ätherregion des Himmels keinen Wechsel von Erzeugung oder Verderben gibt, sondern dass der Himmel und die ätherischen Körper, die in ihm enthalten sind, sich nicht vergrößern, sich nicht verkleinern und sich nicht verändern in der Zahl oder Größe oder Leuchtkraft oder in irgendeiner anderen Hinsicht, sondern dass er immer derselbe und sich in allem gleich bleibt, ohne dass die Jahre ihn abnutzen (mürbe machen). Es bezeugen darüberhinaus die Beobachtungen aller Wissenschaftler seit Jahrtausenden, die seitdem vergangen sind, dass alle Sterne immer dieselbe Zahl, Position, Ordnung, Bewegung und Größe beibehalten haben, die sie auch in unserem Zeitalter, wie man sieht, nach der sorgfältigen Beobachtung derjenigen, die Freude an den Himmelserscheinungen haben, bewahren.

Durch die empirische Beobachtung also wird ein Axiom der Antike, nämlich die Unveränderlichkeit der Himmelserscheinungen, fragwürdig. Die gleiche Wirkung hatte Tycho Brahes Beobachtung eines Kometen im Jahr 1577. Die anderen Astronomen deuteten diese Erscheinungen ähnlich wie Aristoteles als meteorologische, sublunare Phänomene. Durch Entfernungsberechnungen wurde Tycho Brahe jedoch klar, dass es sich um Phänomene weit jenseits des Mondes handeln musste.

Tycho Brahes Erkenntnis führte dazu, dass eine weitere antike Vorstellung aufgegeben werden musste: Man musste nun annehmen, dass die Sphären keine physikalische Realität darstellten, da der Komet ja verschiedene Sphären durchkreuzt. Tycho Brahe und Kepler gaben daher die Sphärenvorstellung auf.

Tycho Brahe entwarf ein Weltmodell, das eine Mischung von helio- und geozentrischem Modell war. An einer antiken Vorstellung hielt Tycho Brahe allerdings weiter fest, nämlich an den Kreisbahnen der Himmelskörper. Das Kreisbahn-Modell wurde erst von Johannes Kepler aufgegeben, der - nach langen Irrwegen - als erster erkannte, dass sich die Planeten auf Ellipsen bewegen.

Die Keplerschen Gesetze, die von den Planetenangaben abgeleitet waren, die Tycho Brahe gesammelt hatte, in lateinischer Sprache vorzulegen ist nicht sinnvoll, weil sie in streng mathematischen Zusammenhängen formuliert werden, die sich für eine Übersetzung im Lateinunterricht kaum eignen. Trotzdem sollen diese epochemachenden Erkenntnisse doch genannt werden:

Laut Keplers erstem Gesetz bewegen sich die Planeten auf elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne, wobei sich die Sonne in einem Brennpunkt der Ellipse befindet. Das zweite Gesetz sagt aus, dass die gerade Linie, die den Mittelpunkt des Planeten mit dem Mittelpunkt der Sonne verbindet, in gleichen Zeitabständen gleiche Flächen überstreicht. Mit anderen Worten ausgedrückt, je näher ein Planet der Sonne kommt, desto schneller bewegt er sich. Das dritte Keplersche Gesetz besagt, dass das Verhältnis der dritten Potenz der durchschnittlichen Entfernung eines Planeten von der Sonne zum Quadrat seiner Umlaufzeit eine Konstante ist.

Was Kepler noch nicht gelöst hatte, war das Problem der Bewegungsursache. Bei Kopernikus finden wir als Bewegungsursache noch eine an Aristoteles erinnernde Auffassung: Kugelförmige Körper erfahren nach ihm eine natürliche, einfache Bewegung: die Kreisbewegung, weil es sich eben um Himmelskörper handelt. Kepler nimmt an, dass es eine Kraft gibt, die auf die Körper wirkt. Er hält diese Kraft für etwas Ähnliches wie die Kraft eines Magneten. Sie geht von der rotierenden Sonne aus und veranlasst die Planeten zu ihrer ellipsenförmigen Bewegung.

DIE KRAFT; DIE DIE PLANETEN BEWEGT; HAT IHREN SITZ IM SONNENKÖRPER.

(...) Je weiter ein Planet von dem Punkt entfernt ist, den man als Mittelpunkt der Welt annimmt, um so schwächer wird er um diesen Punkt herum angetrieben. Der Grund für dieseVerlangsamung muss entweder im Planetenkörper selber und in der ihm eingepflanzten Bewegungskraft liegen oder in dem angenommenen Mittelpunkt der Welt selber.

Zugrunde liegt das 2. Keplersche Gesetz: In Sonnenferne bewegt sich der Planet langsamer als in Sonnennähe und zwar so, dass in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstrichen werden. Nun fragt Kepler, woher die Verlangsamung in Sonnenferne kommt, und stellt folgende Alternative auf: Entweder verlangsamt ihn die in ihm selber steckende Bewegungskraft oder eine Kraft, die von der Sonne ausgeht. Hier sehen wir Kepler noch in der antiken Mechanik befangen, die das Trägheitsgesetz noch nicht kannte. Für die antike Physik war es ein Problem, dass ein Stein, der von einer Hand geschleudert wird, auch noch fliegt, wenn ihn die Hand nicht mehr berührt. Aristoteles erklärte das Phänomen damit, dass die Hand die den Stein umgebende Luft anstößt, die ihrerseits dann den Stein mitreißt. Im Mittelalter kam die Idee auf, dass die Bewegungskraft der Hand dem Stein sozusagen einverleibt wird und dann weiterwirkt, auch wenn der direkte Kontakt fehlt. Man hat dies in Analogie zu den Sakramenten gesehen, die auch durch eine von Gott eingepflanzte Kraft wirken (nachzulesen ist der ganze gedankliche Zusammenhang bei Blumenberg, Die kopernikanische Wende).

Kepler nimmt nun an, dass die Sonne eine Art Magnet ist, der sich dreht und durch ihre magnetische Kraft die Planeten mit sich herumzieht. In Sonnenferne ist diese magnetische Kraft geringer, darum verlangsamt sich dort die Bewegung. Im nächsten Kapitel wird das ausgeführt:

DER SONNENKÖRPER IST MAGNETISCH UND DREHT SICH IN SEINEM RAUM

(...) Es könnte nämlich scheinen, dass im Körper der Sonne etwas Göttliches verborgen ist, das mit unserer Seele vergleichbar ist, aus dem diese "Spezies" herausfließt, die die Planeten im Kreis führt, wie aus der Seele von einem, der Steinchen schleudert, die "Spezies" der Bewegung in diesen Steinchen haften bleibt, durch die sie vorwärtsbewegt werden, auch wenn der, der sie geschleudert hat, seine Hand von ihnen zurückgezogen hat. Doch wenn man nüchtern ein wenig weitergeht, werden sich andere Gedanken einstellen:

Denn jene Kraft, die sich von der Sonne bis zu den Planeten ausdehnt, bewegt sie im Kreis um den unverrückbaren Körper der Sonne; dies kann aber auf keine andere Weise geschehen oder gedanklich erfasst werden als dadurch, dass die Kraft denselben Weg geht, auf dem sie alle anderen Planeten mitreißt. Dies kann man zum Teil auch bei Geschützen und allen gewaltsamen Bewegungen sehen.

Gerade dieser letzte Satz ist interessant, weil er zeigt, dass Kepler hier himmlische und irdische Physik in eine Beziehung zueinander bringt, ohne jedoch schon zu erkennen, dass es zwischen beiden keinen Unterschied gibt.

Die endgültige Loslösung der Astronomie von den antiken Modellen und die Überwindung der antiken Trennung von himmlischer und irdischer Physik gelang erst Isaac Newton, der zeigte, dass im Himmel die gleichen Bewegungsgesetze gelten wie auf der Erde.

Newtons Hauptwerk (Naturalis philosophiae principia mathematica, erschienen 1687) gilt als das wichtigste naturwissenschaftliche Werk überhaupt. Es beweist zum erstenmal, dass sich der Himmel, was die Naturgesetze betrifft, nicht vor der Erde auszeichnet, dass es nicht nötig ist, göttliche Kräfte anzunehmen, die am Himmel wirken. Hier beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte des menschlichen Denkens. Newtons Erkenntnisse gelten auch heute noch, auch wenn durch die Relativitätstheorie gezeigt wurde, dass diese Gültigkeit begrenzt ist. Aber noch die Landung der Menschen auf dem Mond war nur möglich, weil man die von Newton entdeckten Gesetze angewandt hat. Der Lateinunterricht kann den Schülern wenigstens einen ersten Eindruck von diesem epochalen, in lateinischer Sprache geschriebenen Werk geben.

Zuerst sollten die drei berühmten Axiome aus den "Principia Mathematica" gelesen werden

1. Gesetz

Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern.

Geschosse verharren in ihrer Bewegung, insofern sie nicht durch den Widerstand der Luft verzögert und durch die Kraft der Schwere von ihrer Richtung abgelenkt werden. Ein Kreisel, dessen Teile vermöge der Kohäsion sich beständig aus der geradlinigen Bewegung entfernen, hört nur insofern auf, sich zu drehen, als der Widerstand der Luft ihn verzögert. Die großen Körper der Planeten und Kometen aber behalten ihre fortschreitende und kreisförmige Bewegung in weniger widerstrebenden Mitteln längere Zeit bei.

2. Gesetz

Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt.

Wenn irgend eine Kraft eine gewisse Bewegung hervorbringt, so wird die doppelte eine doppelte, die dreifache eine dreifache erzeugen; mögen diese Kräfte zugleich und auf einmal oder stufenweise auf einander folgend einwirken. Da diese Bewegung immer nach demselben Ziele wie die erzeugende Kraft gerichtet ist, so wird sie, im Fall dass der Körper vorher in Bewegung war, entweder, wenn die Richtung übereinstimmt, hinzugefügt oder einer entgegengesetzten abgezogen oder, wenn sie unter einem schiefen Winkel einwirkt, in diesem schiefen Winkel hinzugefügt und mit ihr nach den Richtungen beider zusammengesetzt.

3. Gesetz

Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung.

Jeder Gegenstand, der einen andern drückt oder zieht, wird ebenso stark durch diesen gedrückt oder gezogen. Drückt jemand einen Stein mit dem Finger, so wird dieser vom Stein gedrückt. Zieht ein Pferd einen an ein Seil befestigten Stein fort, so wird das erstere gleich stark gegen den letzteren zurückgezogen, denn das nach beiden Seiten gespannte Seil wird durch dasselbe Bestreben, schlaff zu werden, das Pferd gegen den Stein und diesen gegen jenes drängen; es wird ebenso stark das Fortschreiten des einen verhindern wie das Fortrücken des andern befördern.

Wenn irgendein Körper auf einen andern stößt und die Bewegung des letztern irgendwie verändert, so wird ersterer in seiner eigenen Bewegung dieselbe Änderung, nach entgegengesetzter Richtung, durch die Kraft des andern (wegen der Gleichheit des wechselseitigen Drucks) erleiden. Diesen Wirkungen werden die Änderungen nicht der Geschwindigkeiten, sondern der Bewegungen nämlich der Körper, die nicht anderweitig verhindert sind, gleich. Die Änderungen der Geschwindigkeiten, nach entgegengesetzten Richtungen, sind nämlich, weil die Bewegungen sich gleich ändern, den Körpern umgekehrt proportional. Es gilt dieses Gesetz auch bei den Anziehungen, wie in der nächsten Anmerkung gezeigt werden wird.

Für die Lektüre eignet sich auch der folgende Text aus den Principia mathematica. Darin wird die Einheit von irdischer und himmlischer Physik sehr anschaulich dargestellt, indem Newton die Prinzipien der Planetenbewegung mit den Bewegungen von Kanonenkugeln vergleicht.

Die Zentripetalkraft ist die Kraft, durch die Körper zu irgendeinem Punkt wie zum Mittelpunkt von allen Seiten gezogen und getrieben werden oder wie auch immer streben. Von dieser Art ist die Schwerkraft, durch die die Körper zum Mittelpunkt der Erde streben; die Magnetkraft, durch die das Eisen den Magneten zu erreichen sucht; und jene Kraft, welche auch immer es ist, durch die die Planeten ununterbrochen von den geradlinigen Bewegungen zurückgezogen und auf gebogenen Linien ihre Kreisbewegung auszuführen gezwungen werden. Der Stein, der in einer Schleuder herumgeschleudert wird, versucht von der Hand, die ihn herumschleudert, wegzugehen; und durch sein Versuchen spannt er die Schleuder, und zwar um so stärker, je schneller er im Kreis gedreht wird; und sobald er losgelassen wird, fliegt er weg. Die jenem Bestreben entgegengesetzte Kraft, mit der die Schleuder den Stein beständig zur Hand zurückzieht und auf der Kreisbahn hält, nenne ich, da sie ja auf die Hand gleichsam wie auf den Mittelpunkt des Kreises gerichtet ist, Zentripetalkraft. Und genauso ist das Verhalten aller Körper, die im Kreis bewegt werden. Sie alle versuchen, von den Mittelpunkten der Kreise wegzugehen, und wenn nicht irgendeine Kraft, die diesem Bestreben entgegengesetzt ist, vorhanden ist, durch die sie gehemmt und in ihren Kreisen zurückgehalten werden und die ich deswegen Zentripetalkraft nenne, werden sie geradlinig in gleichförmiger Bewegung weggehen. Ein Geschoss würde, wenn es von der Schwerkraft verlassen würde, nicht auf die Erde umkehren, sondern geradlinig zum Himmel weggehen, und zwar in gleichförmiger Bewegung, wenn nur der Luftwiderstand beseitigt würde. Durch seine Schwere wird es von der geradlinigen Bahn zurückgezogen und ununterbrochen zur Erde hingebogen, und zwar mehr oder weniger im Verhältnis zu seiner Schwere und Bewegungsgeschwindigkeit. Je kleiner seine Schwere im Verhältnis zur Masse ist oder je größer die Geschwindigkeit, mit der es geworfen wird, um so weniger wird es von seiner geradlinigen Bewegung abweichen und um so weiter fortfliegen. Wenn eine Bleikugel, die mit einer gegebenen Geschwindigkeit auf einer waagrechten Linie vom Gipfel eines Berges aus durch die Kraft des Kanonenpulvers geschleudert worden ist, in einer gekrümmten Linie zwei Meilen weit fliegen würde, bevor sie auf die Erde fiele, so würde sie mit doppelter Geschwindigkeit gleichsam um das Doppelte weiter fliegen und mit zehnfacher Geschwindigkeit gewissermaßen um das Zehnfache weiter, wenn nur der Luftwiderstand beseitigt würde. Und durch Erhöhung der Geschwindigkeit könnte die Entfernung, in die sie geschleudert wird, nach Belieben vergrößert und die Biegung der Linie, die sie beschriebe, verringert werden, so dass sie schließlich in einer Entfernung von zehn oder dreißig oder neunzig Schritt herunterfiele, oder sogar die ganze Erde umkreisen oder schließlich in den Himmel wegflöge und die Fortbewegung endlos weiterginge. Und aus derselben Ursache, durch die ein Geschoss durch die Schwerkraft auf eine Kreisbahn gebracht werden und die ganze Erde umkreisen könnte, kann auch der Mond entweder durch die Schwerkraft, sofern er schwer ist, oder durch irgendeine andere Kraft, durch die er gegen die Erde gedrängt wird, immer von der geradlinigen Bahn in Richtung der Erde zurückgezogen und auf seine Kreisbahn gebracht werden. Und ohne eine derartige Kraft kann der Mond nicht auf seiner Kreisbahn gehalten werden. Wenn diese Kraft kleiner wäre, als es richtig ist, würde sie den Mond nicht genügend von seiner geradlinigen Bahn ablenken; wäre sie größer, als es richtig ist, würde sie ihn zu sehr ablenken und von seiner Kreisbahn gegen die Erde führen. Es ist also erforderlich, dass sie von richtiger Größe ist. Und es ist Aufgabe der Mathematiker, die Kraft herauszufinden, durch die ein Körper auf einer beliebigen gegebenen Kreisbahn mit einer gegebenen Geschwindigkeit genau gehalten werden kann, und andererseits die gekrümmte Bahn herauszufinden, auf der ein Körper von einem beliebigen gegebenen Ort aus mit einer gegebenen Geschwindigkeit ausgehend von einer gegebenen Kraft abgelenkt wird.

Die Bleikugel und die Himmelskörper bewegen sich nach denselben Gesetzen. Es gibt nur eine Physik. Mit dieser Erkenntnis beginnt die Wissenschaft der Neuzeit.-

Die hier vorgestellten Texte sind nicht nur wegen ihres Inhalts wichtig. Die Schüler bekommen damit auch einen Einblick in eine Tradition, die in der Antike ihren Ursprung hat und bis ins 18. Jahrhundert lebendig ist: Latein als internationale Sprache der Wissenschaft und Philosophie. Von der poetischen Kraft der lateinischen Sprache, von ihren stilistischen und rhetorischen Möglichkeiten vermittelt der Lektüreunterricht einen nachhaltigen Eindruck. Bei der Lektüre neulateinischer Texte wird deutlich, wie sehr sich die lateinische Sprache auch zur Formulierung wissenschaftlicher Sachverhalte eignet. Der Lateinunterricht sollte diesen Aspekt nicht vernachlässigen.


Die aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht publizierten Abbildungen stammen aus Jürgen Teichmann:

Wandel des Weltbildes. Astronomie, Physik und Meßtechnik in der Kulturgeschichte. München 1983 und Jürgen Hamel: Geschichte der Astronomie. Basel, Boston, Berlin 1998.

Die Abbildungen sind in der Druckfassung enthalten:

Franz Peter Waiblinger:Wandel des Weltbildes. Naturwissenschaftliche Fragen im Lateinunterricht. In: Dieter Friedel, Friedrich Maier, Klaus Westphalen (Hg.): Antike verpflichtet. Bildung statt Information. Für Peter Neukam. Bamberg und München 2001. S. 105-119.

Für die lateinischen Texte bitte auf diesen Link klicken. (PDF-Dokument, 37 KB)