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Frauenkirche

Andreas Wagner und Tobias Thum: Drei ausgewählte Epitaphien an der Münchner Frauenkirche

 

1. Georg Streitl

 

R.D. GEORGIUS STREITL

ANNIS XXIV IN HAC ECCLESIA

B. VIRGINIS MARIÆ

ZELOSISSIMUS COOPERATOR

HOC TUMULO TEGITUR.

IN DIEBUS SUIS PLACUIT DEO

ET HOMINIBUS, QUIA

INVENTUS EST IUSTUS ET

OMNIBUS OMNIA FACTUS.

QUAM IN VITA NON HABUIT

IN MORTE REPERIT PACEM.

HANC EI, VIATOR, PRECARE

SEMPITERNAM.

MDCCVII XVIII MAIJ.

Der ehrwürdige Herr Georg Streitl,

24 Jahre an dieser Kirche

Der Lieben Jungfrau Maria

überaus eifriger Cooperator,

wird von diesem Grab bedeckt.

In seinen Tagen gefiel er Gott

und den Menschen, weil

er für gerecht befunden wurde und

allen alles wurde.

Den Frieden, den er im Leben nicht hatte,

im Tod findet er ihn.

Diesen erbitte für ihn, Wanderer,

für alle Zeit.

1707 18. Mai

Anmerkungen

Der Grabstein von Georg Streitl ist sowohl in seiner künstlerischen Gestaltung wie auch im Hinblick auf den Inhalt der Inschrift ein beispielhaftes Dokument barocker Weltanschauung. Bereits aus einiger Entfernung fallen Totenköpfe, gekreuzte Knochen und eine Schlange ins Auge, alles Symbolik für das barocke Dictum "memento mori" - Bedenke, daß du sterben mußt. Die "vanitas" der Welt, ihre Nichtigkeit, die Hinfälligkeit des sterblichen Menschen angesichts der Allgegenwart des Todes war ein Kernpunkt barocken Denkens. Dies spiegelt sich bei näherem Hintreten auch in der lateinischen Inschrift wieder. Sie wirkt nahezu unpersönlich, formelhaft: Name, Beruf und Todestag sind die einzigen persönlichen Angaben auf dem Stein, alles andere sind allgemeine Wendungen, wie sie auf jedem Grabstein stehen könnten - "vanitas" des  Sterblichen, der Tod als das für alle unausweichlich Bestimmte. Und so liest man hier nicht von großen Leistungen des Georg Streitl, vielmehr bescheiden-demütige Zeilen über Gerechtigkeit und Pflichterfüllung, womit er bei Gott und den Menschen in Ansehen stand und eben dies: "Den Frieden, den er im Leben nicht hatte, im Tod findet er ihn." Die Inschrift schließt mit dem Anruf an den Betrachter, für den Toten diesen Frieden für die Ewigkeit zu erbitten.

Außer den spärlichen Angaben auf dem Grabstein ist über Georg Streitl, der 24 Jahre Cooperator an der Frauenkirche war, nichts bekannt.

 

Literatur:

  • Die Epitaphien an der Frauenkirche in München, hrsg. von der Messerschmitt Stiftung, München 1986, Nr. 37
  • Alckens, August, Die Epitaphien der Altmünchner Kirchen, München 1974, Nr. 215
  • Mayer, Anton, Die Domkirche zu Unserer Lieben Frau in München, München 1868, 426
  • Häuserbuch der Stadt München, hg. vom Stadtarchiv München, 4 Bde. und Register, München 1958ff., K 287, K 297
  • Bomhard, Peter von, Die Geistlichkeit in den Münchener Sterbematrikeln vom Beginn bis 1810, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte Bd. 26, München 1986, 54

 


 

2. Familie Schmid

 

Huc Perge Viator!

Et duo una in Urna mirare

Conjugum jubilæorum paria.

Primum Alpha Secundum Omega

Pharmacopææ Schmidianæ.

Utrumque Conjugii X. Lustra integra

Monachii egressi

pius et Mortis memor saluta

Verbô!

Hic jacent teque exspectant

Ioan. Wolfgang. Schmid atavus

LXXIX expletis

Et Maria è domo Swegelin oriund

LXXX annis.

Ac Ioan. Wolfgang Schmid abnepos

LXXX anos

Unacum Maria Anna, nata Eggerin

LXXVI egressa.

Primus ex XVIImo

alter ex XVIIIvo Sæculo.

Ambo Familiæ numerosæ Patres et

Urbis Senatores.

Æterna

ob virtutum laboriosarum decoris

Requie

Dignissimi.

Komm hierher, Wanderer!

Und bestaune in einer Urne

zwei Jubelpaare.

Das erste das Alpha, das zweite das Omega

der Schmid’schen Apotheke.

Beide Paare, die über 50 unbescholtene Ehejahre

zu München verbrachten,

grüße fromm und des Todes eingedenk

mit einem Wort!

Hier liegen und erwarten dich:

Johann Wolfgang Schmid, der Urgroßvater,

nach Vollendung des 79. Lebensjahres,

und Maria aus dem Hause Swegel stammend,

nach Vollendung des 80. Lebensjahres.

Dazu Johann Wolfgang Schmid, der Urenkel,

der die 80,

zusammen mit Maria Anna, geborene Egger,

die die 76 überschritten hatte.

Der erste aus dem 17.,

der zweite aus dem 18. Jahrhundert.

Beide Väter einer kinderreichen Familie und

Räte der Stadt.

Ewiger Ruhe

wegen ihres Ansehens, das sie sich durch Tugend

und Fleiß erworben,

höchst würdig.

Anmerkungen

Der Stein verzichtet, im Gegensatz zu Streitls Epitaph, gänzlich auf symbolträchtige Ornamentik, nur das Familienwappen am oberen Rand ist kunstvoll ausgestaltet. Auch der Ton der Inschrift wirkt nicht düster, dem Betrachter schlägt vielmehr eine ganz unerwartete, schicksalszufriedene Heiterkeit entgegen: Ein freundliches "Komm hierher" wendet sich an den Vorübergehenden und läd zum Verweilen ein. Zwei "Jubelpaare" soll man "bestaunen" , stolz ist vom "Alpha und Omega" der Apotheke die Rede, das die beiden Ehepaare, deren Männer zueinander im Verhältnis Urgroßvater-Urenkel stehen, gebildet haben. "Unbescholtene Ehejahre", "Väter einer kinderreichen Familie", "Räte der Stadt", "Ansehen", "Tugend", "Fleiß", diese Begriffe sind Ausdruck einer Lebensbejahung, für die schließlich auch der Tod nicht das gewaltsame Ende bedeutet, beide Paare werden vielmehr als "ÆTERNA REQUIE DIGNISSIMI", "Ewiger Ruhe höchst würdig", bezeichnet. Das Selbstbewußtsein einer 200jährigen Apothekertradition, begonnen durch Johann Wolfgang Schmid (d.Ä., 1612-1692), abgeschlossen durch Johann Wolfgang Schmid (d.J., 1703-1783) ist hier eindrucksvoll dokumentiert.

Dieser Stein ist weniger ein Grabstein als vielmehr ein Gedenkstein für die Apothekerfamilie Schmid, die von 1583 bis 1783 in München nachgewiesen werden kann. Wer den Stein errichtet hat, ist unklar, der letzte Inhaber der Apotheke, Franz Xaver, Sohn des auf dem Stein verewigten jüngeren Johann Wolfgang, endete in Armut und mußte die Apotheke verkaufen, schließlich sogar Almosen beantragen. Er war sicherlich nicht in der Lage in seiner prekären finanziellen Situation einen teuren Gedenkstein herstellen zu lassen. Mit ihm endete die 200jährige Tradition der Familie, jedoch ging aus der ursprünglich in der Kaufingerstraße gelegenen Apotheke die Mohrenapotheke im Tal hervor.

 

Literatur:

  • Die Epitaphien an der Frauenkirche in München, hrsg. von der Messerschmitt Stiftung, München 1986, Nr. 89
  • Alckens, August, Die Epitaphien der Altmünchner Kirchen, München 1974, Nr. 142
  • Mayer, Anton, Die Domkirche zu Unserer Lieben Frau in München, München 1868, 219, 532
  • Häuserbuch der Stadt München, hg. vom Stadtarchiv München, 4 Bde. und Register, München 1958ff., K 14f., K 89
  • Pölnitz, Götz Freiherr von, Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt, Landshut, München, 4 Bde., München 1937ff., 1689, 1222, 29
  • Ferchl, Fritz, Münchens älteste Apotheke, Stuttgart 1927, 54
  • Hoffmeister, Alexander von, Das Medizinalwesen im Kurfürstentum Bayern - Neue Münchner Beiträge zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften, Medizinhistorische Reihe Bd. 6, München 1975, 35
  • Müller-Fassbender, Gerd-Bolko, Das Apothekenwesen der bayerischen Haupt- und Residenzstadt München von seinem Anfang bis zum Ende des bayerischen Kurfürstentums = Miscellanea Bavarica Monacensia Bd. 22, München 1970, 28ff

 

3. Heinrich Vambes de Florimont

 

Viator,

si quid scire iuvat:

Hic reconditur,

quidquid Mortale deposuit

Illmus D.D.

Henricus Vambes de Florimont,

Eques Gallus.

Sereniss: et Potentiss:

Elect: Bav. Reiarmament: &

Legpedestr: Prin: Elect:

Praefectus Generalis.

Natus Brisagi Andorum

V. Id: Febr: MDCLXIII.

In Bavariam missus

a Sereniss: Gallorû Delphina.

MARIA VICTORIA BAVARA.

XIV. fere Lustris in eadem exactis

sub Tribus Electoribus in Aula gratiosus.

Inter Pacis Bellique obsequia

fideliter, strenue, alacriter praestita

adolevit, viguit, consenuit.

Mortem Christiane obiit Monachy

Ex morbo senectute V. Id. Jan. MDCCLII

paulo minor nonagenario.

Bona in vita collecta

Religione in Deum

Charitate in proximum

secum tulit.

Relinctorum Hæredem scripsit

Nosocomium Militare ingeniosa Charitate,

Ut et illud, quod fluctuaret in tempore,

Vindicaret Æternitati.

Tu Viator mortuo bene precare,

Idem forte cras

Rogaturus!

Wanderer,

wenn dich etwas zu erfahren freut:

Hier liegt geborgen,

was an Sterblichem ablegte

der hochberühmte und sehr ehrenwerte Herr

Heinrich Vambes de Florimont,

französischer Ritter.

Seiner Durchlaucht, des mächtigsten

Kurfürsten von Bayern Generalpräfekt des

Waffenarsenals und des Infanterieregiments

Kurprinz.

Geboren zu Breisach im Gebiet der Ander

am 9. Februar 1663.

Nach Bayern gesandt

von der durchlauchtigsten frz. Dauphine,

Maria Viktoria von Bayern.

Er verbrachte beinahe 14 Lustren ebenda

und war unter drei Kurfürsten bei Hofe willkommen.

Im Dienst in Frieden und Krieg,

den er treu und fleißig geleistet hat,

wuchs er heran, gelangte zur Reife und wurde alt.

Den Tod nahm er wie ein Christ zu München

aus Altersschwäche am 9. Januar 1752 auf sich,

beinahe schon ein Neunziger.

Die Güte, die er sich im Leben erwarb,

durch Frömmigkeit gegen Gott

und Liebe gegen seinen Nächsten,

nahm er mit sich.

Für seine hinterlassenen Güter setzte er als Erben ein

das Militärlazarett in edelmütiger Großzügigkeit,

um auch das, was in der Zeit schwankt,

für die Ewigkeit zu sichern.

Du, Wanderer, bete fromm für den Toten,

der du dasselbe vielleicht morgen

erbitten wirst!

Anmerkungen

Der Grabstein des französischen Ritters Heinrich Vambes de Florimont, gleich rechts neben dem südlichen Seiteneingang der Frauenkirche, zeigt bei genauerem Hinsehen bereits durch seine Gestaltung die Profession dieses Mannes: Unterhalb des Wappens sind deutlich Kanonen, Standarten und Trommeln zu erkennen, ein Soldatengrab. Wer nun dem "Viator, si quid scire iuvat" folgt, der wird feststellen, daß hier nicht irgendein Namenloser begraben liegt, sondern ein Mann, der während seiner 62jährigen bayerischen Dienstzeit so imposante Titel trug wie "Kapitän beim Hofjagdstab", "Generalwachtmeister", "Generalfeldmarschall-Leutnant" und schließlich zum "Generalfeldzeugmeister" und Kommandanten des Infantrieregiments "Kurprinz" aufstieg. Daß das Kurfürstentum Bayern sich seiner über so lange Zeit erfreuen durfte, hat seinen Grund in einem Heiratsabkommen, das 1670 einen Bündnisvertrag zwischen Ludwig XIV. und Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern besiegelte, durch welchen Ludwigs Sohn Ludwig, der Dauphin von Frankreich, die Hand von Ferdinand Marias Tochter, Maria Victoria, erhielt. 1679 übernahm der Bruder Maria Victorias, Max II. Emanuel, die Kurfürstenwürde, ein Mann, der im Gegensatz zu seinem Vater Ferdinand Maria ein in höchstem Maße kriegslustiger und kriegsbegeisterter Regent war. Sein tollkühnes Auftreten 1683 vor Wien gegen die Türken trug ihm wegen seiner weithin sichtbaren blauen Uniform den Spitznamen "Der blaue Kurfürst" ein. Ein Kriegsmann also, und noch dazu einer, der ein Heer nach französischen Vorbild aufzubauen gedachte. Da nimmt es nicht Wunder, daß seit 1685 Heinrich Vambes de Florimont in München nachzuweisen ist. Die Dauphine von Frankreich, Maria Victoria, hat ihrem Bruder den jungen Ritter geschickt, der, wie man aus seinem späteren Amt des Generalfeldzeugmeisters schließen kann, wohl gerade in technischer Hinsicht versiert war. Und technische Unterstützung wird es wohl vor allem gewesen sein, was Max II. Emanuel bei seiner "Heeresreform" nötig hatte.

Der Grabstein des Heinrich Vambes de Florimont beeindruckt schon allein durch seine Textmenge. Abgesehen von den vollständigen persönlichen Daten erfährt der Betrachter hier ungewöhnlich viel über den Menschen, der hier begraben liegt, der stolze Katalog einer herausragenden Militärlaufbahn geht im zweiten Teil der Inschrift in ein Bild von Frömmigkeit und Nächstenliebe über. Die Unterteilung in inneren, ideellen und äußeren, materiellen Besitz ist bei Heinrich Vambes de Florimont im Hinblick auf die Ewigkeit durchbrochen: Seine gute Seele nahm er mit sich, und seinen Nachlaß bestimmte er für einen guten Zweck: Er vermachte sein ganzes Vermögen dem Militärlazarett und enthob damit seinen materiellen Besitz dem Zugriff der Zeiten. Die Inschrift schließt mit einer erneuten Anrede an den Betrachter, der Bitte um ein frommes Gebet für den Toten, denn bereits am nächsten Tag könne man selbst eines solchen bedürfen.

 

Literatur:

  • Die Epitaphien an der Frauenkirche in München, hrsg. von der Messerschmitt Stiftung, München 1986, Nr. 96
  • Alckens, August, Die Epitaphien der Altmünchner Kirchen, München 1974, Nr. 134
  • Mayer, Anton, Die Domkirche zu Unserer Lieben Frau in München, München 1868, 420, 429
  • Die Kunstdenkmale des Regierungsbezirks Oberbayern, Bd. 4, bearb. von Gustav v. Bezold, Berthold Riehl, Georg Hager, München 1902, 995
  • Berberich, Franz, Führer durch den Dom zu Unserer Lieben Frau in München, München 1931, 100
  • Forster, J.M., Das gottselige München, 2 Bde., München 1895, 101f.
  • Staudinger, Karl (Hg.), Geschichte des bayerischen Heeres, 5. Bde., München 1901ff., Bd. II und III
  • Abbildung: Bolongaro-Crevema, Hubertus, Die Frauentürme grüßen die Welt, München 1955, Nr. 44