Didaktik-Aufgaben
Dr. Franz Peter Waiblinger
Institut für Klassische Philologie der Universität München - Didaktik der Alten Sprachen
Aufgaben der Didaktik der Alten Sprachen
1. Unterrichtsforschung und Methodik des Latein- und Griechischunterrichts
1.1. Sprachunterricht
Der lateinische und griechische Sprachunterricht ist lernpsychologisch und psycholinguistisch zu wenig fundiert. Obwohl die Lernpsychologie und die Psycholinguistik den Fremdsprachenerwerb und das Lesen und Verstehen fremdsprachiger Texte auf breiter Basis erforscht haben, sind diese Erkenntnisse in der Methodik des altsprachlichen Unterrichts bisher kaum rezipiert worden. Weil Wortschatz und Grammatik im altsprachlichen Unterricht in wenig effektiver Weise vermittelt werden, sind die Ergebnisse des Unterrichts insgesamt nicht befriedigend. Die Didaktik der Alten Sprachen hat die Aufgabe, die Erkenntnisse der Lernpsychologie und der Psycholinguistik auf den altsprachlichen Unterricht anzuwenden und neue spezifische Untersuchungen in Zusammenarbeit mit den Vertretern dieser Disziplinen zu initiieren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen bei der Gestaltung der Lehrwerke berücksichtigt werden. Der Fachdidaktik kommt es zu, die vorhandenen Unterrichtswerke unter diesem Aspekt einer kritischen Prüfung zu unterziehen und neue Konzepte zu entwickeln.
1.2. Lektüreunterricht
Die Auswahl der Autoren, die Interpretation und die Art der Vermittlung ändern sich mit dem gesellschaftlichen Wandel, der wissenschaftlichen Forschung und den Interessen der Schüler. Die Fachdidaktik hat die Aufgabe, das Konzept des Lektüreunterrichts diesen wechselnden Bedingungen anzupassen durch die Erschließung geeigneter Texte und neuer motivierender Verfahren. Dazu gehört die Entwicklung neuer Konzepte für Textausgaben und neuer Texterschließungsverfahren mit Hilfe des Computers.
1.3. Neue Medien
Die Möglichkeiten für den Einsatz des Computers im Unterricht sind bisher weder theoretisch noch empirisch untersucht. Die Fachdidaktik hat die Aufgabe, diese neuen Unterrichtsformen kritisch zu prüfen und da, wo sie sich als sinnvoll erweisen, an der Entwicklung der neuen Medien mitzuwirken. Dabei geht es vor allem um multimediale Unterrichtstechniken im Sprach- und Lektüreunterricht, die den traditionellen Unterricht ergänzen können. Die im Internet und auf CD ROM vorhandenen Datenbanken für die philologische Arbeit müssen unter dem Aspekt einer Verwendung im und für den Unterricht untersucht werden. Kriterien für die Entwicklung spezifischer Lernsoftware müssen ausgearbeitet werden.
2. Ergänzung der fachwissenschaftlichen Ausbildung
Die Klassische Philologie und der altsprachliche Unterricht haben sich seit der Lehrplanreform der 70er Jahre auseinander entwickelt, weil sie verschiedenen Konzepten folgten. Während sich die Klassische Philologie als primär literaturwissenschaftliche Disziplin versteht, die sich mit der lateinischen und griechischen Literatur der Antike und der Spätantike befaßt, hat der Latein- und Griechischunterricht mit den neuen Lernzielen einen inhaltlich und zeitlich weiteren Rahmen erhalten: Zu seinen Gegenständen gehört nicht nur die antike Literatur, sondern auch die antike Welt, d. h. die Geschichte, die Kunst, die Religion, das Recht, die Gesellschaft, die Technik, die Alltagskultur, die Stadt Rom usw. Der neue bayerische Lehrplan von 1992 hat diese Bedeutung der Sachen nachdrücklich hervorgehoben: Neben den Lernbereichen "Sprache" und "Textarbeit" steht erstmals als dritter Lernbereich gleichberechtigt "Antike Kultur".
Die Fachdidaktik hat daher die Aufgabe, die fachwissenschaftliche Ausbildung zu ergänzen und die sachkundlichen Inhalte, die den verschiedensten Disziplinen angehören, in einer für die schulischen Zwecke geeigneten Weise zu vermitteln und zugleich die methodischen Möglichkeiten für die Darbietung im Unterricht zu erarbeiten. Am besten geschieht das in Zusammenarbeit zwischen der Fachdidaktik und den Vertretern der jeweiligen Disziplinen. Bis jetzt ist die Sachkunde didaktisch kaum erschlossen. Es fehlt an Handreichungen, Materialien, Medien, Arbeitsheften usw.- Zur fachdidaktischen Ausbildung im Bereich der Sachkunde gehört auch die Vorbereitung und Durchführung von Exkursionen nach Griechenland und Rom unter didaktischem Aspekt.
Eine Ergänzung der fachwissenschaftlichen Ausbildung ist auch auf literaturwissenschaftlichem Gebiet nötig, weil der Lateinunterricht im Gegensatz zur Klassischen Philologie auch die lateinische Literatur des Mittelalters und der Neuzeit umfaßt. Die Studierenden müssen durch die Fachdidaktik in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachvertretern eine Einführung in das für den Unterricht Nötige erhalten. Die Fachdidaktik sollte die entsprechenden Materialien, Textausgaben, Interpretationsvorschläge und methodischen Hilfen anbieten.
3. Betreuung des studienbegleitenden Praktikums
Eine besonders wichtige Aufgabe der Fachdidaktik ist die Zusammenarbeit mit der Schule. Institutionalisiert ist dieser Kontakt durch die Betreuung des studienbegleitenden Praktikums. Diese Betreuung erfolgt in der Weise, daß von den Praktikanten eine Begleitveranstaltung besucht wird, in der aktuelle Fragen des Unterrichts erörtert werden und eine grundsätzliche Einführung in die Unterrichtspraxis gegeben wird. Außerdem werden die Unterrichtsversuche der Praktikanten in der Schule zusammen mit den Praktikumslehrern besprochen. Zusätzlich findet regelmäßig eine Zusammenkunft mit allen Praktikumslehrern statt, bei der aktuelle Probleme diskutiert werden.
4. Lehrerfortbildung und Lehrplanentwicklung
Beim inhaltlichen Konzept der Lehrerfortbildung sollte die Fachdidaktik beratend mitwirken, damit Innovationen möglichst rasch in der Praxis aufgenommen werden können. Wichtig ist auch der Kontakt zu den Instituten, in denen die Lehrpläne erarbeitet werden. Auch dabei sollte die Fachdidaktik beratend tätig sein.
5. Öffentlichkeitsarbeit
Die Fachdidaktik hat ferner die Aufgabe, der Öffentlichkeit ein zutreffendes Bild der Alten Sprachen zu vermitteln. Die spezifischen Leistungen der Fächer Latein und Griechisch im Rahmen des gymnasialen Bildungskonzepts müssen immer wieder dargelegt werden, weil das, was die Gesellschaft von der Schule erwartet, einem steten Wandel unterworfen ist. In der gegenwärtigen Diskussion über die Rolle der Fremdsprachen im Gymnasium müssen die Unterschiede in den Zielen und Methoden der modernen und der alten Sprachen beschrieben werden, um das Fremdsprachenkonzept des Gymnasiums zu legitimieren.