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Referat Höhn

Das Lehrbuch OSTIA

A) Einleitung

Ostia - Eingänge, Zugänge, der Hafen Roms... Kann man sich einen sprechenderen Namen für ein Lateinlehrbuch denken? Das Buch soll den Zugang zu einer fremden Sprache ermöglichen, den Eingang in eine unbekannte Welt darstellen, so wie auch der Hafen Ostia eine Eintrittsmöglichkeit in das bunte Treiben Roms ist. Diese Arbeit will eine methodisch-didaktische Analyse des Buches liefern; dazu sind einige Informationen vorab nützlich. Das im Klett-Verlag 1985 erschienene Buch ist in Bayern nicht zugelassen. Es handelt sich um ein Elementarbuch, in dem Texte, Übungen, Grammatik und Vokabeln enthalten sind; dazu gibt es einen Lehrerkommentar, ein Lektionsvokabularium und ein Schülerarbeitsheft. Interessant ist, dass das Buch für Latein als erste und als zweite Fremdsprache eingesetzt werden kann, und dass es nicht auf die Dauer eines Schuljahres, sondern auf eine Behandlung in 18 Monaten ausgerichtet ist; Band II, der den Sprachlehrgang abschließt, ist auf 15 Monate ausgelegt.

B) Konzeption und Analyse

I. Methodische und didaktische Konzeption von „Ostia“

Dieses Buch ist das älteste im Seminar behandelte, und doch ist seine Konzeption auch bei neueren Projekten von Interesse. Daher möchte ich kurz auf seine methodisch-didaktische Konzeption eingehen, wie sie der Lehrerkommentar ausführlich darstellt. Ostia hat sich eine Verbindung von Grammatikarbeit und Textarbeit zum Ziel gesetzt, so dass Sprachvermittlung von Anfang an durch Texte passiert (Textmethode), nicht durch Einzelsätze oder gar Einzelwörter. Grammatik wird daher als Funktionselement des Inhalts, Formen stets als Träger einer Funktion betrachtet, grammatische Formen sind zwar Hilfen, aber doch sekundär zum intendierten Sinn. So sollen die Schüler von Anfang an an temporale und logische Sinnerschließung innerhalb eines Textes gewöhnt werden.

Ein weiteres Grundprinzip ist die Abkehr von der Verfertigungsgrammatik, also von der Grammatik, die die Produktion lateinischer Sätze zum Ziel hat. Ostia beschränkt sich laut Kommentar auf das für die Dekodierung Notwendige, was eine stoffliche Reduktion der Grammatik zur Folge hat, und zwar in dem Sinn, dass funktional zusammengehörende Formen oder Phänomene gebündelt behandelt werden.

Inhaltlich sollen die Texte zwei Anforderungen erfüllen: einerseits die Ausrichtung der Inhalte auf die Welt der unterrichteten Sprache, andererseits auf das Interesse und Fassungsvermögen der heutigen Schüler, so dass die Polarität ‚Fremdartigkeit der Antike - Nähe der Antike’ zur Motivation genutzt werden kann. Dazu gehört, dass die Themen nicht auf den militärischen oder staatlichen Bereich beschränkt sind, sondern die Vielfalt des römischen Lebens darstellen, was auch eine gewisse Offenheit hinsichtlich des Zielautors bedeutet. Die Inhalte des Lehrbuchs wollen außerdem keine vereinfachte Antizipation der späteren Lektüreinhalte sein, sondern ein die Sinne erreichendes Propädeutikum. Trotzdem orientiert sich die Textauswahl natürlich an originalen Inhaltsmustern; bei der Einführung neuer sprachlicher Phänomene wird auf adäquate Sprechsituationen und Textsorten geachtet.

Abbildungen und Informationskapitel sind nicht als bloßer Blickfang gedacht, sondern als integraler Bestandteil des oben erwähnten Textkonzepts, da zur Texterschließung durch die normalerweise vorhandene zeitliche oder kausale Sinnabfolge Vorwissen und Hintergrundwissen nötig sind. So ist stets ein thematischer Textbezug vorhanden, und die Informationstexte und Bilder leisten einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines Konventionshintergrundes, ohne den Texterschließung nicht möglich ist.

II. Analyse

Die nun folgende Analyse orientiert sich am Aufbau des Buches. Den Anspruch des Lehrerkommentars, der selbst eine überblicksartige Analyse bietet, werde ich besonders an den Stellen erwähnen, wo das Buch diesem Anspruch meiner Meinung nach nicht gerecht wird.

    1. Einführung

Die Einführung hat als Vorbereitungslektion zwei Funktionen. Zum einen liefert sie grundlegende Informationen zum Gesamtlehrgang. Der Schüler wird informiert über die Ausdehnung des römischen Reiches und somit auch über die Verbreitung der lateinischen Sprache. Durch die Nennung von Lehn- und Fremdwörtern und durch den Hinweis auf die verschiedenen romanischen Sprachen wird ihm die Bedeutung der lateinischen Sprache für die europäische Kultur vor Augen geführt

Zum anderen enthält die Einführung das für die Behandlung der ersten Lektionen nötige Vorwissen. Die Bezugsfamilie und ihr historisches Umfeld werden vorgestellt, ein kurzer Blick wird ins Leben einer römischen familia geworfen. Dabei werden bereits erste lateinische Begriffe eingeführt; diese werden sowohl im Text als auch am Rand genannt. Die grammatikalischen Signale der lateinischen Wörter sind durch Fettdruck hervorgehoben, so dass die Schüler en passant die in der ersten Lektion vorkommenden Genus- und Numerusendungen lernen. Für die Schüler sicherlich interessant sind das lateinische Alphabet und die Erklärung, woher wir heute wissen, wie Latein ausgesprochen wurde; für überflüssig und verwirrend halte ich allerdings die Aussprache- und Betonungsregeln, da die Kinder ja die Sprache neu lernen und sich an die vom Lehrer vorgegebene Aussprache halten werden. Möglicherweise ist dieser Teil der Einführung auch für die Eltern gedacht, die eine andere Aussprache gewohnt sind; für die Schüler bedeutet er eine Vorwegnahme und führt zu einer Überfrachtung der Einführung..

    2. Lektionen

Ich werde zunächst einen Überblick über die Lektionen insgesamt geben, bevor ich mich genauer mit zwei Lektionen befasse.

Der Lektionsteil von „Ostia I“ beinhaltet zwanzig Lektionen mit Übungen und umfasst 133 Seiten, von denen die Informationstexte ungefähr ein Viertel ausmachen. Diese Informationstexte erscheinen nach den Lektionstexten oder auch nach einer ganzen Lektion und sind, wo das möglich ist, anschaulich bebildert. Auch die Lektionstexte selbst sind fast immer von thematisch passenden Bildern begleitet. Die Abbildungen sind nur mäßig beschriftet, was entdeckende Bildarbeit durch die Schüler möglich macht; eine genauere Beschreibung findet sich im Lehrerkommentar, so dass man den Schülern ohne großen Aufwand mehr zum Bild erzählen kann als sowieso schon danebensteht.

Das Buch besteht nicht aus einzelnen Sequenzen, sondern es ist ein Gesamtzusammenhang gegeben durch die Bezugspersonen, die familia Pomponia aus Pompeji. Leben und Reisen der Personen schaffen den Zusammenhalt des ganzen Buches, so dass die Texte zwar in künstlichem Latein verfasst sind, aber doch belegte oder zumindest vorstellbare Themen aus der Antike behandeln. Natürlich gibt es auch Anlehnungen an klassische Originaltexte, und zwar hauptsächlich in den Exkursen des Hauslehrers, der die römischen Kinder immer auf ihren Reisen und Ausflügen begleitet und dann Fabeln oder Geschichten aus der Geschichte Roms erzählen kann, sowie in den thematisch völlig selbstständigen C-Texten. Da die familia in Pompeji wohnt, ist es ganz natürlich, dass die Kinder (und zugleich die Schüler) auf einer Reise nach Rom sehr viel erklärt bekommen. Unpassend finde ich - eben wegen der starken Fixierung des Buches auf die familia Pomponia - den höchst ausführlichen Informationstext nach der sechsten Lektion über die Zerstörung Pompejis mit Bildern der Abgüsse der Opfer.

Nach dieser kurzen Orientierung komme ich nun zum Aufbau einer einzelnen Lektion. Das Textangebot jeder Lektion besteht aus einem A-Text, der in bis zu drei Teilstücke aufgespalten sein kann, einem B-Text und einem C-Text mit jeweils unterschiedlichen funktionalen Schwerpunkten. Die A-Texte sind vollwertige Texte zur Einführung in den neuen Grammatikstoff, der laut Lehrerkommentar induktiv erschließbar ist. An sich wäre dem auch so, denn die neuen Phänomene treten häufig auf und es gibt klare Hinführungssätze, aber die Einführung erfolgt mit dem neuen Vokabular, was eine induktive Erschließung beinahe unmöglich macht.. Der A1-Text von Lektion 3 besteht aus 33 Wörtern (Eigennamen nicht mitgerechnet), davon sind 15 Wörter unbekannt, die 19mal vorkommen. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der geringen Kapitelzahl: Das Stoffpensum pro Lektion ist sehr hoch. Dies hat zur Folge, dass speziellere Phänomene zu selten auftauchen. Lektion 3 zeigt das deutlich: Hier wird der Dativ eingeführt. Als Objektsdativ tritt er in der Lektion gehäuft auf, dagegen kommen Dativus finalis, Dativus commodi und Dativus possessivus, die ebenfalls danach als gelernt gelten, jeweils nur einmal vor, was zur Festigung gerade dieser mit dem Deutschen nicht übereinstimmenden Phänomene eindeutig zu wenig ist.

Die B-Texte sind inhaltsbetonte Lesestücke zur Vertiefung und Förderung der Lese- und Übersetzungsfertigkeit; die in den A-Texten eingeführte Grammatik wird eingeübt, das Vokabular noch erweitert, so dass die A- und B-Texte zusammen das obligatorische Programm an Wortschatz und Grammatik darstellen. Bei Lektion 3 wird der B-Text seiner Einübungsfunktion im Bezug auf die besonderen Dativverwendungen nicht ganz gerecht, hier kommt der Dativus commodi immerhin dreimal, der Dativus finalis aber nur einmal und der Dativus possessivus gar nicht vor. Auch der Objektsdativ ist nicht übermäßig gut repräsentiert, was vielleicht mit der Inhaltsbetontheit und einer in diesem Rahmen als natürlich empfundenen Frequenz zusammenhängt.

Die C-Texte sind fakultative Lesestücke, die thematisch völlig losgelöst sind von den Erlebnissen der familia. So erweitern sich die Sachgebiete auf ein breitgefächertes, vielfältiges Themenangebot. Von der Grammatik her wird nur auf bereits Gelerntes zurückgegriffen, unbekannte Vokabeln werden angegeben. Leider nehmen diese Vokabelangaben oft ebensoviel Platz ein wie der Text selbst, was nicht unbedingt motivierend ist.

Auf die Texte folgt das mit zwei bis vier Seiten aufwartende Übungsangebot, hier Pensa exercitanda genannt. Eine Vielzahl von Übungstypen steht hier zur Auswahl: Bestimmungsübungen syntaktischer Art, Syntax-Übungen zum selbstständigen Bilden von Sätzen, Übungen zur Morphologie, bei denen entweder Formen zu bestimmen oder zu bilden sind, Wortschatzübungen, Aufgaben zum Inhalt des Textes, deutsch-lateinische Übersetzungen. Zudem gibt es noch zwei Arten von Übungen zum Fortleben der lateinischen Sprache: „Mutter Latein und ihre Töchter“ stellt ausgewählte Wörter aus den romanischen Sprachen und dem Englischen nebeneinander und fragt nach dem lateinischen Ursprungswort, „Latein im Alltag“ bringt Beispiele für aus dem lateinischen stammende Fremdwörter, deren Herkunft erklärt werden soll. Reine lateinisch-deutsche Übersetzungen gibt es interessanterweise nicht, diese Übungen sind immer zugleich Lückentexte oder verbunden mit der Anweisung zum Bestimmen von Satzgliedfunktionen; das liegt wahrscheinlich an den umfangreichen Lektionstexten.

Lückentexte und Kreuzworträtsel sind zwar eine nette Abwechslung, sollten aber meiner Meinung nach in einem Buch, das der Schule gehört, möglichst vermieden werden; die Kennzeichnung mit einem durchgestrichenen Stift, um ein Ausfüllen im Buch selbst zu verhindern, ist vom Aufforderungscharakter her ungünstig.

Auch bei den Übungen wird im Rahmen des Möglichen eine kontextlose, isolierte Bearbeitung sprachlicher Phänomene vermieden und somit dem Textprinzip Rechnung getragen.

Die Reihenfolge der Übungen folgt dem Vorkommen der Phänomene im Text, sie sind also nicht nach wachsender Schwierigkeit angeordnet. So finden sich auf S. 23 in K2 bereits verschiedene Dativverwendungen, während in E1 erst die Endungen geübt werden. Die Wiederholungsübungen zu behandelter Grammatik, die sich ab Lektion 3 finden, stehen jedoch sinnvollerweise am Anfang der Übungen, wenn der neue Stoff direkt darauf aufbaut.

Zu den Übungen ist anzumerken, dass sie sehr viel analytischer ausgerichtet sind als im Lehrerkommentar angegeben. Die so häufig betonte konsequente Abkehr von der Verfertigungsgrammatik wird nicht vollzogen, es wird in den Übungen weit mehr verlangt, als für das bloße Dekodieren nötig wäre. So muss auf Seite 88 in der Übung F2 für die Zuordnung der is, ea, id–Formen das Geschlecht der jeweiligen Nomen aktiv beherrscht werden; S1, E1 und E2 verlangen aktive Produktion von Formen mit syntaktischer Funktion, und Wh2 gibt sogar unsinnige Einzelsätze vor, die vom Schüler korrigiert werden müssen - es fragt sich, wo da die zeitlich-logische Sinnabfolge innerhalb eines Textes ist, die den Schülern den Zugang zur Sprache erleichtern, wenn nicht ermöglichen soll.

    3. Grammatischer Vorkurs

Der grammatische Vorkurs dient zur Rekapitulation des Vorwissens der Schüler, bezogen auf die deutsche Grammatik. Er beschreibt Existenz und Funktion grammatischer Signalteile der Wörter, ebenso die verschiedenen Wortarten. Grundlegende grammatische Begriffe werden wiederholt, wobei es sich um eine gedrängte Zusammenfassung handelt, die viele grammatische Begriffe mit meiner Meinung nach komplizierten Erklärungen darbietet, die vom Lehrer meist zu ergänzen sind. So wird die adverbiale Bestimmung „in der 2. Halbzeit“ folgendermaßen erklärt: „‚In der 2. Halbzeit’ gibt eine nähere Erläuterung zum vom Verb bezeichneten Vorgang; es handelt sich damit um eine adverbiale Bestimmung (hier: der Zeit).“ Damit ist das Thema adverbiale Bestimmung abgehakt, die anderen Möglichkeiten einer solchen Bestimmung (Ort, Grund...) werden nicht einmal erwähnt. Man muss aber dazu sagen, dass der Vorkurs nicht als Trockenübung gedacht ist, sondern bei den jeweiligen Abschnitten in den Unterricht einbezogen werden soll, also vor oder nach der Erarbeitung eines A-Textes mit dem entsprechenden Thema. Die Schüler sollen damit nicht allein gelassen werden.

Auffällig ist, dass am Ende des Vorkurses eine Anleitung zum Konstruieren gegeben wird, also eine Liste von einzuhaltenden Arbeitsschritten bei der Übersetzung: Beginne mit dem Verb, suche das im Numerus übereinstimmende Subjekt, erfrage die Objekte; gibt es noch ergänzende Attribute oder adverbiale Bestimmungen?

    4. Cursus grammaticus

Auch der eigentliche Grammatikteil ist deskriptiv-kontrastiv ausgerichtet, die Schüler sollen bei vertrauten Spracherscheinungen abgeholt werden, um von dort aus den Weg zu den lateinischen Phänomenen zu suchen. So wird zum Beispiel der Ablativus absolutus mit Hilfe der deutschen absoluten Konstruktionen „klopfenden Herzens“ beziehungsweise „unverrichteter Dinge“ eingeführt. Auf diese Weise sollen den Schülern Einsichten in grundlegende Sprachfunktionen vermittelt werden, es soll aufgezeigt werden, dass verschiedene Sprachen unterschiedliche Lösungen für dieselben Ausdrucksbedürfnisse bereitstellen. Die Schüler sollen von Anfang an an sinnerschließendes Erfassen von Texten gewöhnt werden, dadurch, dass ihnen gezeigt wird, wie man von der semantischen Seite her an fremdsprachliche Texte herangehen kann.

Die Stoffprogression erfolgt oft nach funktionalen Kriterien. Ein Beispiel dafür ist Kapitel 5, in dem der Genitiv behandelt wird. Als Hauptfunktion dieses Kasus wird die Funktion eines Attributs herausgestellt; die Folge ist, dass wegen dieser Attribut-Funktion auch gleich die Adjektive und Possessivpronomen samt der KNG-Kongruenz eingeführt werden. Außerdem wird nicht nur der „normale“ Genitiv vermittelt, sondern auch der Genitivus qualitatis (als Attribut und Prädikatsnomen), Genitivus partitivus und Genitivus possessivus (inklusive meum est, servi est, stultitiae est). Ebenso wird in Lektion 3, die vorher bereits als Beispiel gedient hat, neben dem Objektsdativ der Dativus commodi und incommodi, der Dativus finalis und der Dativus possessivus eingeführt. Den Erklärungen mangelt es oft an logischer Kohärenz (S. 162): „Die Bedeutung ergibt sich hier, wenn man die Frage: wozu? stellt.“ (Mit einer anderen Frage würde sich eine entsprechend andere Bedeutung „ergeben“; die Formulierung „nach dem Dativus finalis musst du ‚wozu?’ fragen“ passt wohl nicht zur funktional-deskriptiven Ausrichtung der Grammatik). In abstrakter Sprache wird der doppelte Dativ erklärt: „Die Person, auf die das von diesem Dativ Beschriebene wirkt, steht ebenfalls im Dativ, im Dativus commodi.“ Etwas weiter unten heißt es: „Die wörtliche Übersetzung dieser Art Dativ ist also nicht möglich.“ Also? Woraus folgt das? Und warum gibt man den Kindern nicht die zugegebenermaßen unschöne, aber durchaus nützliche Hilfsübersetzung „gereichen zu“ an die Hand?

Was die Formenlehre betrifft, so werden die Nomen der a- und o-Deklination auf vertikale Weise eingeführt: In den ersten sechs Lektionen kommt ein Kasus pro Lektion. Erst in Lektion 8 erscheint die konsonantische Deklination vollständig,

in Lektion 17 die u-Deklination und die e-Deklination und schließlich in Lektion 19 die reinen i-Stämme. Anders bei den Verben: In der ersten Lektion kommt die 3. Person Singular und Plural aller (!) Konjugationen vor, was auf die horizontale Methode hinweist; allerdings bringt bereits Lektion 4 das gesamte Präsens-Aktiv-Paradigma aller Konjugation sowie von esse und posse. Auch bei den Verben kann man funktionale Ordnungsprinzipien erkennen: So ist bei der Einführung des Passivs ein Kapitel dem Präsens gewidmet, das folgende dann allen Vergangenheitszeiten. Nach formalen Kriterien hätte man Imperfekt Passiv beim Präsens erwarten müssen.

Insgesamt wird bei der Darbietung des Stoffes viel Metasprache verwendet, so dass der Cursus grammaticus nur nach der Besprechung des Stoffes oder mit Hilfe des Lehrers vom Schüler angewendet werden kann. Auch eine gewisse Unübersichtlichkeit bei den schematischen Darstellungen muss und kann durch den Lehrer kompensiert werden.

    5. Vokabelteil

Der letzte große Teil des Buches besteht aus einem nach Lektionen geordneten Vokabularium. Die Auswahl der Vokabeln orientiert sich am „Grund- und Aufbauwortschatz Klett“.

Die Vokabeln werden in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Text präsentiert, und zwar in drei Kategorien: Es gibt das fett gedruckte obligatorische Lernvokabular (805 Wörter), ein normal gedrucktes, mit Sternchen versehenes Additum (185 Wörter) und normal gedruckte Lesevokabeln (316 Wörter). Bezüglich des Additums wird empfohlen, es bei L1-Klassen mitlernen zu lassen; die Lesevokabeln tauchen bei jedem Vorkommen erneut im Vokabelteil auf. Durch die geringe Anzahl der Lektionen ist die Zahl der Wörter pro Lektion sehr hoch, im Schnitt liegt sie bei 40. Jeder neuen Lektion ist ein Kasten mit Wiederholungswörtern vorgeschaltet, was für eine immanente Wiederholung und eine Umwälzung des Wortschatzes optimal ist, da es sich um die Wörter handelt, die in der neuen Lektion wieder vorkommen. Allerdings werden alle (!) bereits bekannten und im Text wieder vorkommenden Wörter aufgeführt, und zwar alphabetisch nach Wortarten, innerhalb der Wortarten nach Deklinations- bzw. Konjugationsklassen geordnet. Die Anzahl dieser Wiederholungswörter ist enorm: So finden sich vor den neuen Vokabeln der Lektion 7 25 Wörter, vor Lektion 9 31 Wörter, vor Lektion 12 42 Wörter, vor Lektion 15 gar 58. Zudem findet die Wiederholung unsystematisch statt, manche Wörter werden so vielleicht nie wiederholt. Ab Lektion 9 werden zusätzlich vorneweg die Perfektformen der im Text vorkommenden bekannten Verben angegeben, es erfolgt kein systematischer Nachtrag der Perfektformen der bereits gelernten Verben. Nach demselben Prinzip wird ab Lektion 16 bei den Stammformen verfahren.

Nun zur Präsentation der eigentlichen Lektionsvokabeln. Positiv ist die Darstellung in drei Spalten: eine für die lateinische Vokabel, eine für die deutschen Bedeutungen, die letzte für deutsche, englische oder französische Merkwörter. Leider herrscht große Unübersichtlichkeit durch zwei mal drei Spalten pro Seite. In der lateinischen Spalte oder auch bei den Merkwörtern findet sich ein Verweis auf bereits bekannte Wörter derselben Wortfamilie. So ist auf S. 267 bei praefectus facere angegeben, was für die Bildung von Vernetzungen förderlich ist. In diesen Bereich fallen auch die wenigen Bildchen zwischen den Vokabeln (S. 267: fax ist illustriert). Auch sind kleine Sätze zur Veranschaulichung eines vom Deutschen abweichenden Kasusgebrauchs angeboten, noch dazu mit deutscher Übersetzung, so dass sie für den Schüler eine wirkliche Hilfe darstellen. Diese „Hilfsfunktion“ lässt sich den sogenannten Merkwörtern manchmal absprechen. Ab Lektion 2 werden Merkwörter auch vom PPP abgeleitet, wie zum Beispiel quaerere EF question, mittere D Mission. Außer den ersten beiden Buchstaben wird der Schüler hier keine Gemeinsamkeiten finden, wenn man bedenkt, dass das PPP erst in Lektion 16 gelernt wird. Auch sonst sind die Merkwörter manchmal wenig hilfreich: parere und parare haben in Lektion 2 beide als Merkwort „parieren“.

Zur Auswahl der Vokabeln ist zu sagen, dass die Zusammenstellung innerhalb der Lektionen manchmal lerntechnisch ungeschickt erfolgt, da entsprechende Kontrastierung fehlt: in Lektion 3 kommen beispielsweise als neue Vokabeln libenter, liberi,-orum, liber,-bri und liber,a,um, außerdem noch parare und parere.

Insgesamt handelt es sich um Vokabeln zur Beschreibung von Land- oder Stadtleben, eben dem jeweiligen Aufenthaltsort der familia Pomponia. Der Wortschatz ist also weitgehend unmilitärisch; auch bei Wörtern, die militärisch eingesetzt werden können, werden nur die „zivilen“ Bedeutungen angegeben. So bedeutet petere (L2) in Ostia I nur „verlangen, erbitten, aufsuchen“, nicht aber „angreifen“, und confectus (L6) „erschöpft, schwach“, wohingegen dieses Wort in meinem Lateinbuch (Cursus Latinus Compactus) noch mit „beendet, aufgerieben, tödlich verwundet“ übersetzt wurde. Trotzdem werden mit dem Wortschatz aus Ostia (Band I+II) laut Lehrerkommentar 95% der 600 häufigsten Wörter Caesars abgedeckt, so dass, wie auch bei der Themenwahl schon erwähnt, Offenheit hinsichtlich des Zielautors besteht.

Eine weitere Besonderheit von Ostia sind die ins Lektionsvokabularium nach jeweils 4 Lektionen eingebauten Kästen „Latein in der modernen Wissenschaft“, die die Produktivität der lateinischen Sprache in verschiedenen wissenschaftlichen Fachsprachen veranschaulichen. Diese Kästen sind interessant und motivierend, sie fordern einen Wissenstest der Eltern geradezu heraus, da dort keine „Allerweltswörter“ aufgeführt sind. Leider sind diese doch sehr speziellen Begriffe oft nur ansatzweise erklärt: Wenn ein Schüler zum Beispiel nach Lektion 12 auf eine wie folgt lautende Erklärung für „erratische Blöcke“ trifft: „(errare) Einzelgestein aus der Eiszeit, das sich verirrt hat“, werden sich für ihn mehr Fragen als klare Vorstellungen ergeben.

    6.Verzeichnisse

Das Buch endet, wie wohl jedes Lateinbuch, mit einigen Verzeichnissen, nämlich mit einem Stammformenverzeichnis, einem alphabetischen lateinisch-deutschen Vokabelverzeichnis, einem deutsch-lateinischen Wörterverzeichnis, das nur die für die deutsch-lateinischen Übersetzungsübungen relevanten Wörter enthält, einem mit immerhin 11 Abbildungen versehenen Namensverzeichnis, einem Grammatikregister und Tabellen zur Formenlehre. Auf das lateinisch-deutsche Vokabelverzeichnis möchte ich noch kurz eingehen, da es einige positive Bemerkungen verdient. Zum einen werden dieselben Kennzeichnungen (Fettdruck, Normaldruck, Sternchen) wie im Lektionsvokabular verwendet, was die Übersichtlichkeit für die Schüler enorm erhöht. Zum anderen werden bei Realia zusätzlich zur Übersetzung Verweise auf Erklärungen oder Abbildungen innerhalb der Lektionen gegeben, was keineswegs selbstverständlich ist. Dieser Aspekt gehört zum Konzept eines Aufbaus eines Konventionshintergrundes, da besonderer Wert darauf gelegt wird, Worthülsen mit Bedeutung zu füllen.

Ein negativer Punkt an diesem Verzeichnis ist das Fehlen von Stammformen; stattdessen findet sich ein Verweis auf Stammformenverzeichnis. Das Nachschlagen könnte dem Schüler zu aufwändig sein, und ihm könnte noch zusätzlich das Gefühl vermittelt werden, dass die Stammformen unwichtig seien, wenn sie doch im Verzeichnis nicht vorkämen.

C) Fazit

Was kann man nun insgesamt zu diesem Lehrwerk sagen? „Ostia“ ist in vielerlei Hinsicht ein interessantes, innovatives Werk. Die Integration von Abbildungen und Informationstexten in das Gesamtkonzept zum Aufbau eines Konventionshintergrundes, vor dem die Texte dann sinnerschließend gelesen werden können, ist bemerkenswert, da sie die Bilder und Sachtexte von ihrem Beiwerk-Charakter befreit. Zum römischen Leben muss der Lehrer also kaum mehr zusätzliche Informationen geben, sehr wohl muss er jedoch selbst für mehr Übungen zu spezielleren Phänomenen sorgen. Zum Üben steht aber sowieso viel Zeit zur Verfügung, da ja fast ein ganzer Monat pro Lektion veranschlagt werden kann. Dass die angebotenen Übungen zu einem großen Teil auf die aktive Beherrschung lateinischer Phänomene ausgerichtet sind, widerspricht dem Anspruch des Lehrerkommentars, der ja eine strikte Abkehr von der Verfertigungsgrammatik fordert, ist aber meiner Meinung nach fürs genaue Übersetzen durchaus kein Nachteil. Ansonsten ist der Lehrerkommentar eine große Hilfe. Er ist sehr ausführlich, bietet eine allgemeine methodisch-didaktische Einführung und anschließend eine Beschreibung jedes einzelnen Kapitels sowie Beschreibungen aller Abbildungen und sogar Formulierungsvorschläge für Grammatikregeln, die man den Schülern ins Heft diktieren kann. Viele der neueren Lehrbücher haben Teile des Ostia-Konzepts übernommen - das spricht für sich.

Literatur

  • Ostia. Lateinisches Unterrichtswerk in 2 Bänden. Band I. Hrsg.: Walter Siewert, Werner Straube, Klaus Weddingen. Ernst Klett Schulbuchverlag, Stuttgart 1985.
  • Ostia. Lateinisches Unterrichtswerk in 2 Bänden. Lehrerkommentar zu Band I und II. erarbeitet von Klaus Weddingen, Walter Siewert, Dr. Helmut Schareika, Dr. Angela Steinmeyer. Ernst Klett Schulbuchverlag, Stuttgart 1988.