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Rezension "Buchners Lesebuch Latein. Ausgabe A2"

Müller, Volker: Besprechung von: Utz, Clement (Hg.): Buchners Lesebuch Latein. Ausgabe A2, bearbeitet von Michael Dronia, Stefan Kipf, Alexandra Köhler, Birgit Korda, Michael Lobe, Christian Müller, Stefan Müller und Wolfgang Polleichtner unter Mitarbeit von Gerhard Hertel, Bamberg (C.C.Buchner) 2013, 132 S.

Mit „Buchners Lesebuch Latein. Ausgabe A1“ hatte der Buchner-Verlag bereits 2012 eine lehrplankonforme thematische Lektüre-Anthologie für die 9. Jahrgangsstufe an bayerischen Gymnasien und Gesamtschulen auf den Markt gebracht. An diesen ersten Band schließt sich nun die vorliegende Lektüreausgabe für die 10. Jahrgangsstufe an.

„Buchners Lesebuch Latein. Ausgabe A2“ gliedert sich in folgende Teile: eine Inhaltsübersicht mit inhaltlich-methodischem Vorwort und Abkürzungsverzeichnis (S. 3-5); vier thematische Lektürekapitel (1: Rhetorik für die Republik ‒ Cicero gegen Antonius, S. 6-33; 2: Mythos und Verwandlung ‒ Ovids Metamorphosen, S. 34-59; 3: Kommunikation im Brief ‒ Cicero und Plinius, S. 60-95; 4: Denken und Handeln ‒ Texte zur Philosophie, S. 96-117); ein sowohl knappes als auch instruktives Grundwissen (S. 118-123); ein jeweils alphabetisch angeordnetes Wörter- und Eigennamenverzeichnis zu den entsprechenden Lektürekapiteln (S. 124-131); weiterführende Literatur und Zusammenstellung der Bildnachweise (S. 132).

Das Vorwort weist die Schüler der 10. Jahrgangsstufe darauf hin, dass man „schon etwas Erfahrung mit lateinischer Originallektüre haben“ muss (S. 4), erläutert den typischen Aufbau eines Lektüreblocks und nennt die wichtigsten vorkommenden Autoren und ihre thematische Einbettung, nämlich Cicero im Netz der politischen Rhetorik, Ovids exemplarische Darstellung menschlicher Verhaltensweisen anhand des Mythos, Plinius’ Einblicke in das römische Alltagsleben über das Medium des Briefes (warum hier Cicero, obwohl in Textauszügen präsent, nicht auch nochmals genannt wurde, ist nicht ganz klar) und die Behandlung philosophischer Fragestellungen bei Cicero, Seneca, Lukrez und Laktanz. Des Weiteren wird die allgemeine methodische Handhabung des Bandes, d. h. die Verwendung der Siglen (T = Texte, I = Informationen, M = Materialien), die Art der Kommentierung ad lineam und die Verwendung des Namensverzeichnisses, sowie die sprachliche Erarbeitung der einzelnen Einheiten in Form lexikalisch-grammatisch-stilistischer Vorentlastung thematisiert, die mit dem Hinweis auf das Grundwissen am Ende des Buches abgerundet ist.

Im Folgenden möchte ich zunächst (1.) das Layout des Lesebuches, dann (2.) die Lektüreblöcke zunächst (a) in ihrer allgemein didaktisch-methodischen Konzeption, dann (b) der Reihe nach jeden kursorisch in seiner qualitativen Umsetzung besprechen; auf (3.) die Corrigenda soll (4.) ein abrundendes Resümee folgen.

(1.) Layout

Die Seiten des Lesebuches, das der neuen Rechtschreibung folgt (vgl. S. 2), sind allgemein dadurch klar und übersichtlich strukturiert, dass alle Register der dem Drucksatz möglichen Differenzierung (unterschiedliche Schriftgröße, Kursivierung, Halbfettdruck, farbiger Druck, Seiteneinteilung in Spalten, großzügige Absätze, Bildeinsatz etc.) im Sinne einer besseren Leserfreundlichkeit gezogen sind.

Die lateinischen Texte weisen, sinnvollerweise, einen größeren Zeilenabstand und Absätze auf, um dem Schüler den Übersetzungsvorgang und die Einteilung in Sinneinheiten rein optisch zu erleichtern. Etwas ungewöhnlich ist die linksseitig vorgenommene Zeilenzählung bei den lateinischen Textstellen ‒ durchweg Intervalle von drei Zeilen statt der geläufigeren fünf (zuerst S. 10, dann passim) ‒, die aber wohl die schnellere Auffindbarkeit der rechtsseitig adlinear dargebotenen Vokabelhilfen gewährleisten soll, eine Zeilenzählung, die beispielsweise auch im 2012 im Oldenbourg Schulbuchverlag erschienenen lateinischen Lesebuch Legamus gewählt wurde. Die adlineare Kommentierung ist, da der ‚Bamberger Wortschatz‘ zugrunde gelegt ist (vgl. S. 4) und dies eine Fülle von Vokabelangaben erforderlich macht, in den seltensten Fällen bündig mit der jeweiligen Zeile (zuerst S. 10, dann passim) und erzwingt zusätzlich ein suchendes Blickverhalten. Schülerfreundlich hingegen ist die sinnvolle, assimilierte Schreibweise präfigierter Lexeme, z. B. afflixit statt adflixit (S. 11, Z. 22, dann passim), die nur in vier Fällen ‒ aus welchem Grund? ‒ unterblieben ist (S. 48, Z. 4: adfuit; S. 50, V. 52: inrita; S. 50, V. 59: arripit; S. 112, Z. 6: conlocavit). Ebenfalls zweckmäßig ist die schülerfreundliche Interpunktion in allen lateinischen Texten, die dazu beiträgt, dass syntaktisch Zusammengehöriges erkannt wird, und sich an die Gepflogenheiten der deutschen Zeichensetzung anlehnt. Schließlich sind bei der Aufbereitung der Texte in einigen wenigen Fällen hilfreiche Wortwiederholungen und dergleichen vorgenommen worden, die den Satzzusammenhang verdeutlichen (z. B. das doppelte causa auf S. 11, Z. 24, das in der kritischen Ausgabe fehlt).

Bei den lateinischen Textstellen handelt es sich fast ausschließlich um nicht bearbeiteten Originaltext. In mehreren Fällen wurden Passagen ausgelassen (z. B. S. 11, Z. 6 und 21; S. 16, Z. 13 und zwischen 14 und 15 etc.), ganz selten Satzteile zum besseren Verständnis umgestellt (z. B. S. 12, Z. 22; S. 17, Z. 32 etc.), wobei man sich der Einheitlichkeit halber hätte entscheiden sollen, die Auslassungen generell kenntlich zu machen (z. B. S. 68-69 etc.) oder nicht (z. B. S. 11, Z. 6 und 21 etc.).

Auch der ausgeglichene Einsatz von Bildern trägt dem bilddidaktischen Grundsatz der quantitativen Moderatheit Rechnung, damit nicht das eigentliche Vorhaben, die Lektüre, ins Hintertreffen gerät. S. 12-14 etc. bestehen beispielsweise nur aus Text, auf den S. 52, 57, 104 etc. finden sich jeweils zwei kleinere Bilder auf einer Seite, insgesamt aber lockert durchschnittlich ein Bild alle zwei Seiten das Erscheinungsbild auf. Dabei werden sämtliche in Frage kommenden Visualisierungsformen abwechslungsreich abgerufen: Gemälde, Wandmalereien, Vasenabbildungen, Mosaiken, Statuen und Büsten, Reliefs, Nachbildungen, Graphiken, Münzen, Fotoaufnahmen und Filmszenen.

Zur noch klareren Gliederung hätte beitragen können, wenn sowohl im Inhaltsverzeichnis ‒ dort werden die Zugehörigkeiten allerdings durch die unmittelbar aufeinander folgende Größer- und Kleinerschreibung klar ‒ als auch auf den entsprechenden Seiten im Verlaufe des Buches den großen Lektüreblöcken (z. B. Rhetorik für die Republik ‒ Cicero gegen Antonius) und den jeweiligen Untereinheiten (z. B. Ciceros rhetorische Strategie und Ciceros Scheitern) eine deutlichere Kennzeichnung als übergeordnete Einheit und untergeordnete Einheiten beigegeben wäre, als das die unterschiedliche Schriftgröße im Druckbild leisten kann.nach oben

(2.) Lektüreblöcke

(a) Allgemeines zur didaktisch-methodischen Konzeption

Jeder der vier großen Lektüreabschnitte wird eröffnet mit einer für Schülerohren unprätentiös klingenden Einführung in das sozio-kulturelle Umfeld des Themenblocks sowie einer Vorstellung der vorkommenden Hauptautoren samt Werk und Gattung, um die Grundlagen für das Verständnis der dann dargebotenen Textstellen zu legen. Würde die Einführung zu langatmig, werden Realien geschickt in Form von Infokästen (z. B. im Falle der ‚Rhetorik‘ auf S. 28, 29 und 30; im Falle des Begriffs ‚Rezeption‘ auf S. 46; im Fall von Daten zu ‚Martial‘ auf S. 65) oder inhaltlichen Vorentlastungstexten zu Beginn der thematischen Untereinheiten (z. B. zum Thema ‚Ehe und Familie‘ auf S. 68, zum Thema ‚Sklaven‘ auf S. 77f.) nachgereicht. Die vier großen Lektüreblöcke sind in die eben erwähnten thematischen Untereinheiten aufgeteilt, zu denen jeweils Texte bereitgestellt werden. Diese Texteinheiten bestehen aus folgenden Komponenten: Einer oft zugkräftigen Überschrift (z. B. S. 10: „Antonius, der Urheber alles Bösen“; S. 84: „Tatort Landhaus“) folgen in einem blauen Kasten Informationen, die bei vorab erfolgter Durchnahme der lexikalisch-grammatisch-stilistischen Vorentlastung der zu übersetzenden Textstelle dienen. Ein Verdienst der Autoren ist es, die Textstellen neben dem Kriterium der inhaltlichen Passung und Prägnanz ‒ dazu später im Einzelnen mehr ‒ so gewählt zu haben, dass implizit wichtige Grammatikpensen wiederholt werden (können). Auf diesen blauen Kasten folgen oft inhaltliche Vorentlastungen unterschiedlicher Länge, die den zu behandelnden Text konkreter kontextualisieren oder generelle Informationen liefern; besonders bei der komplizierten Sachlage um Ciceros Philippicae oder den zwar wirkungsmächtigen, aber dennoch bei der Erstbegegnung fremden Mythen Ovids ist eine inhaltliche Kontextualisierung unerlässlich. Auf die Darbietung der so gut wie nicht bearbeiteten Originaltextstellen samt Vokabelhilfen folgen immer Texterschließungsaufgaben, die ‒ je nach Ergiebigkeit des Textes ‒ den Textverlauf nachvollziehende inhaltliche Aufgaben umfassen, grammatisch-stilistisch-erzähltechnische Fragenstellungen einschließen, handlungsorientierte, kreative oder Rechercheaufgaben nach sich ziehen oder Fragen zur Rezeption des Textes bzw. des Sujets aufwerfen. An entsprechenden Stellen sind Kästen mit Zusatzinformationen zu Realien, des Weiteren Bilder und schließlich Begleittexte im Original, bilingual oder in Übersetzung beigegeben. Erfreulich oft wird auf die Rezeption oder Aktualisierung der Texte in der Kultur der Neuzeit eingegangen, was in besonderer Weise dazu geeignet ist, dem Schüler bei aufmerksamer Mitarbeit den Mehrwert der literarisch-kulturellen Hinterlassenschaft der Römer prägnant vor Augen zu führen.

(b) Kursorische Besprechung der vier Lektüreblöcke

Rhetorik für die Repulik ‒ Cicero gegen Antonius

Der Lektüreblock um die Verquickung von Rhetorik und Politik, wie sie sich idealtypisch in Cicero kristallisiert, besticht nach einer einleitenden Vorstellung der Protagonisten in den ausgewählten Textstellen zunächst durch die Absage an die sonst aufgrund ihrer Kürze oder Beliebtheit häufig für diese Lektüresequenz herangezogenen Reden In Verrem, De imperio Cn. Pompei, In Catilinam oder Pro Archia poeta. Die Autoren zeigen durch die gelungene Auswahl der Texte, dass die Philippicae bestens imstande sind, die prekäre Lage in der späten Republik zu vergegenwärtigen, in der auch die massenwirksame Rhetorik die brenzlige politische Situation nicht entschärfen konnte. Zum ersten Unteraspekt ‚Ciceros rhetorische Strategie‘ gehören Themen wie das sich in Antonius manifestierende Feindbild (T1, T2, T3), der Appell an die Einigkeit zur Bekämpfung dieser Gefahr (T4, T5), die unausweichliche Notwendigkeit, in diesem Konflikt Stellung zu beziehen (T6, T7); im Rahmen des zweiten, wesentlich kürzeren Unteraspekts ‚Ciceros Scheitern‘ werden dessen verzweifeltes Aufbäumen (T8) und fehlgeleitete Einschätzung der römischen Politik am Beispiel des Lepidus (T9) thematisiert. Neben Auszügen aus Philippicae 2, 3, 4, 5, 6, 8, 13 gelingt es den Autoren auch Übersetzungslektüre aus Pro Sestio (S. 21) und In Catilinam (S. 23) sowie die von George W. Bush gehaltene State of the Union Address vom 29. Januar 2002 als aktualisierendes Rezeptionsdokument organisch mit einzubinden. Didaktisch mustergültig sind die Text- und Aufgabenkomplexe T1-2 und T7. Nach dem einleitenden T1 (Phil. 2,53-55) folgt der erste Teil des sich im lateinischen Original anschließenden Textes T2 (Phil. 2, 57-58 und 61-62) in bilingualer Darbietung mit Lückentext zum Sachfeld ‚moralische Verworfenheit‘. Er wird von einer gewöhnlichen Textpassage (Phil. 2, 63) fortgeführt, damit anhand dieses Abschnitts ein Übersetzungsvergleich (S. 14) erfolgen kann; Phil. 2, 65-67 rundet diesen gelungenen Komplex ab. T7 bietet die Conclusio der 4. Philippica, an der nicht nur das Überzeugungspotenzial veranschaulicht wird, sondern auch der Aufbau der antiken Rede, die antike Redegestik und das Redewesen im Allgemeinen (S. 28-30) durchexerziert werden. Das Fortwirken der antiken Rhetorik rundet Bushs schon erwähnte Rede an die Nation (S. 29) eindrucksvoll ab.

In den Hintergrundinformationen zu M. Aemilius Lepidus auf S. 8 ist von dem von ihm bekleideten Amt des magister equitum die Rede, dessen Bedeutung als der Stellvertreter eines Dictators sich dem Schüler ohne zusätzliche Erklärung wohl kaum erschließen dürfte. Dieselbe Unzulänglichkeit ergibt sich durch die bloße Übersetzung als „Reiteroberst“ auf S. 13. Erschließungsaufgabe 3 aus dem Aufgabenkomplex zu T1 (S. 11) ist aufgrund der ausführlichen inhaltlichen Einführung auf S. 10 und der Schlichtheit der Frage zu streichen oder durch eine interpretationsförderndere zu ersetzen. Die Supina visu und auditu auf S. 13 sollten im Kommentar auch als solche bezeichnet werden. Der griechische Akkusativ Charybdin auf S. 14 sollte entweder im Kommentar oder im Eigennamenverzeichnis als ebensolcher ausgewiesen werden. Abzuwägen ist, ob die Übersetzungen „eintauchen in“ für se ingurgitare in copias (S. 14) glücklich gewählt ist; das Bild, das gurges mit sich bringt, schwingt zwar in der gewählten Übersetzung mit, verlangt der deutschen Idiomatik aber viel ab. Ebenso sollte man überlegen, ob die zweite angegebene Übersetzung für effeminatus, „charakterlos“ (S. 17), nicht lieber durch „verweichlicht“ zu ersetzen ist, da Charakterlosigkeit, zumindest in unserem heutigen Sprachgebrauch, mehr umfasst als nur Verweichlichung. Schließlich ist die angegebene URL für die State of Union Address auf S. 30 nicht mehr gültig, allerdings gelangt man an den Originaltext noch durch schlichtes Googeln.

Mythos und Verwandlung ‒ Ovids Metamorphosen

Nach einem Einstieg über mythologische Bilder im Deutschen sowie der Skizzierung des Begriffes ‚Mythos‘ ‒ hier hätte noch eine Abgrenzung von dem häufig gleichbedeutend verwendeten Begriff ‚Mythologie‘ vorgenommen werden müssen ‒ mündet die Einleitung des nächsten Lektüreblocks in eine Kurz-Skizze zu Ovids Leben und Œuvre, speziell zu seinem für diese Lektüresequenz einschlägigen Werk, den Metamorphosen. Deren Proöm wird zum Abschluss der Einleitung mittels einer Textvariante (anspruchsvoll!) zur Erklärung des Themawechsels nach der erotischen Dichtung und Inhaltserklärung fruchtbar gemacht.

Als Texte sind vier der wirkungsmächtigsten Mythen aus den ovidischen Metamorphosen ausgewählt: Pyramus und Thisbe (T1), Daedalus und Icarus (T2), Orpheus und Eurydice (T3) sowie Pygmalion (T4), die mit kleinen Einschränkungen bei Orpheus und Eurydice als kompletter Text dargeboten werden. Es finden sich reichhaltige Interpretationsimpulse, vor allem durch Rezeptionsdokumente jeglicher Couleur (z. B. Oper, Malerei, Film, Gedicht).

Beim Mythos von Pyramus und Thisbe wäre es, dem allgemeinen Duktus des Lesebuches folgend, konsequent gewesen, wenn das Gemälde auf S. 37 und die röm. Wandmalerei auf S. 41 in irgendeiner Form, z. B. einem Vergleich, auch unter den Texterschließungsaufträgen in die Interpretation mit einbezogen worden wäre; dies ist unterblieben. Wohl der Platzmangel dürfte erklären, warum ein Infokasten zum Begriff der ‚Rezeption‘ erst auf S. 46 kommt, wo doch schon auf S. 42 von der Rezeption des Mythos von Pyramus und Thisbe in Shakespeares Sommernachtstraum die Rede ist.

Kommunikation im Brief ‒ Cicero und Plinius

Das durch die Überschrift im Raum stehende Thema des Lektüreblocks, „Kommunikation im Brief“, wird in der Einleitung konkretisiert zu den typischen Themen des Alltagslebens, wie sie sich in den Briefen eines Cicero, Seneca, Plinius und anderen widerspiegelt. Auf einen knappen Überblick zum Thema „Briefliteratur“ folgt eine Darstellung von Ciceros, Senecas und Plinius’ epistolographischem Œuvre.

Die Autoren haben sich entschieden, folgende Aspekte des Alltagslebens zu beleuchten: „Stadt und Land“ (T1, T2), „Ehe und Familie“ (T3, T4, T5, T6, T7, T8), „Sklaven“ (T9, T10, T11, T12, T13, T14, T15, T16, T17, T18) sowie „Spiele und Freizeit“ (T19). Besonders die Untereinheiten „Ehe und Familie“ sowie „Sklaven“ stechen nicht nur quantitativ hervor: Sie bestechen zunächst durch ihre sowohl knappen als auch instruktiven Hintergrundinformationen, ihre ausgewählten Textstellen bauen systematisch aufeinander auf, sie zeigen die Ambivalenz der Stellung von Frauen (z. B. T3 vs. T6) und Sklaven (z. B. T17) auf und befördern nicht zuletzt die aktualisierende Reflexion dieser Themen in der Jetzt-Zeit; kurzum: Paradestücke moderner Lektüredidaktik. Auch die Hintergrundinformationen zum Freizeitverhalten der Römer mit dem Hauptaugenmerk auf den antiken ludi (S. 91f.) liefern just das, was einen Schüler brennend interessiert.

Das auf S. 64 in Z. 16 von T2 vorkommende dein sollte, da nicht zum Bamberger Wortschatz gehörig, konsequenterweise als Nebenform zu deinde erklärt werden. Vielleicht wurde die Abbildung der ersten Tafel des Zwölftafelgesetzes auf S. 78 in Ermangelung eines Besseren gewählt, zeigt sie doch nicht, wie der Text T9 vermuten lässt, das Zwölftafelgesetz 8,3. Des Weiteren fehlen im Eigennamenverzeichnis zu dem Lektüreblock (S. 128-131) Informationen zu Larcius Macedo, über den man sich, wie S. 84 suggeriert, informieren können soll. Schließlich stellt sich die Frage, ob der dritte Texterschließungsauftrag zu T19 auf S. 94 nicht zu wenig trennscharf gegenüber Auftrag 2 ist.

Denken und Handeln ‒ Texte zur Philosophie

In Form eines originellen, fiktiven Gespräches zwischen einem Lateinschüler der Gegenwart und Seneca, deren jeweilige Sprechweisen authentisch anmuten, werden eingangs die wichtigsten Unterschiede zwischen der griechischen und der römischen Philosophie herausgestellt (S. 96-98). Ringkompositorisch wird das Gespräch am Ende des Lektürebocks (S. 117) nach Behandlung der einzelnen Untereinheiten wieder aufgegriffen und schließt mit einem Plädoyer für die pragmatische Philosophie.

Dazwischen behandeln die Autoren folgende Aspekte: „Was lernen wir aus dem Verhalten der Menschen?“ (T1, T2), „Wie ist die Welt aufgebaut?“ (T3, T4, T5), „Was kann uns Sokrates sagen?“ (T6, T7, T8, T9) und „Was leistet die Philosophie?“ (T10). Die Abdeckung der zwei wichtigsten philosophischen Teildisziplinen der Naturphilosophie und der Ethik mit Texten der bedeutsamsten römischen Philosophen (Cicero, Lukrez, Seneca) und der Miteinbezug auch des Sokrates als Begründer der anthropologischen Wende in der Philosophie tragen insgesamt zu einem gelungenen Einstieg in die römische Philosophie bei.

Prinzipiell sollten Vorerschließungsaufträge (z. B. Auftrag 1 zu T5 auf S. 111) oder Leseaufträge mit verteilten Rollen (z. B. Auftrag 1 zur Einleitung in den philosophischen Lektüreblock auf S. 98 oder Auftrag 1 zu T6 auf S. 113) dem entsprechenden Text vorangestellt werden. Ferner ist den Autoren im Infokasten 1 auf S. 105 ein sachlicher Fehler unterlaufen, wenn sie unter den Namen des Thales, Anaximander und Anaximenes auch das Feuer als Urstoff nennen, ein Postulat, das von Heraklit aufgestellt worden war.nach oben

(3.) Corrigenda

Alles in allem ist das Lesebuch sehr sorgfältig gearbeitet. Die im Folgenden angeführten Corrigenda sind marginal und sollten vielmehr als Korrekturanregungen bei einer etwaigen zweiten Auflage empfunden werden.

Hinsichtlich der Orthographie und Interpunktion muss auf S. 9 ein Komma getilgt werden („…Caesarmörder Brutus, und musste…“); auf S. 22 muss bei der Angabe der Kapitelzahl unter dem lateinischen Text statt des Kommas ein Bindestrich gesetzt werden („8,8,10“); auf S. 30 sind im englischen Text der State of the Union Address sämtliche Apostrophe verkehrt herum gesetzt; auf S. 31 sollte man sich in den Zeilen 12 und 13 des lateinischen Texte entweder für die Schreibung Treboni oder Trebonii entscheiden; auf S. 41 sollte in Vers 158 vor quae ein Komma zur Kennzeichnung des Relativsatzbeginns gesetzt werden, wie es auch sonst durchweg gehandhabt worden ist; auf S. 59 schließlich sind in der rechten Spalte des Gedichts von Goethe die Apostrophe wieder verkehrt herum gesetzt.

Zu den sachlich inkorrekten Daten gehört das Datum des auf S. 7 mit „Ende Oktober 43 v. Chr.“ terminierten Beginns des zweiten Triumvirats, das auf „Anfang November“ korrigiert werden muss. Ebenso irrig ist die Aussage in der letzten Kommentarbemerkung auf S. 26, dass die Eroberung Italiens um „290 v. Chr.“ abgeschlossen gewesen sei; erst nach Pyrrhosʼ Rückkehr auf das griechische Festland um 270 v. Chr. konnten die Römer ganz Italien für sich beanspruchen. Auf S. 32 ist der Kapitelumfang des lateinischen Textes falsch angegeben: „Philippicae 5,38-39“ muss abgeändert werden zu „5,38-41“. Auf S. 38 ist in der Angabe 94 des Kommentars das Verbum „adoperiri“ fälschlicherweise als Deponens ausgewiesen; es muss „adoperire“ heißen. Auf S. 106 ist der Kapitelumfang des lateinischen Textes falsch angegeben: „Epistulae morales 107,6-10“ muss abgeändert werden zu „Epistulae morales 107,7-10“. Auch auf S. 113 findet sich eine falsche Kapitelangabe des lateinischen Textes: Statt „Tusculanae disputationes 5,34f.“ muss es „5,35f.“ heißen.nach oben

(4.) Resümee

„Buchners Lesebuch Latein. Ausgabe A2“ überzeugt als Anthologie auf voller Linie durch seine wohldurchdachte Konzeption. Es glänzt durch die souveräne, an modernen didaktischen Prinzipien ausgerichtete Aufbereitung (quantitative Ausgeglichenheit, Sach-, Schüler- und Handlungsorientierung, inhaltliche Kontextualisierung, lexikalisch-grammatisch-stilistische Vorentlastung, immanente Wiederholung von Grammatikpensen, Fruchtbarmachung der Rezeption, Kompetenzorientierung bei den Texterschließungsaufträgen), vereint auf Basis der bayerischen Lehrplanvorgaben sowohl traditionelle (z. B. Ovids Standardmythen) als auch innovative Inhalte (z. B. Ciceros Philippicae statt der bekannteren Reden Ciceros, ausführliche Behandlung der Ehe-/Familien- und der Sklaventhematik statt der sehr beliebten plinianischen Briefe zum Vesuvausbruch) in sich und schöpft das Potenzial der dargebotenen Texte durch reichlichen Einsatz von Rezeptionsdokumenten sinnvoll aus. Die wenigen formalen Schwächen trüben den Gesamteindruck kaum.

Es stellt sich an dieser Stelle aber eine prinzipielle Frage: Im lateinischen Lektüreunterricht, dessen ursprüngliches Prinzip die Ganzschriftlektüre eines bestimmten Autors war, ist angesichts der veränderten institutionellen Rahmenbedingungen (Fakultativität des Schulfaches Latein an Gymnasien; geringere Stundenkontingente; Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre; Lehrplanvorgabe, die jeweiligen Werke in Auszügen zu lesen) seit geraumer Zeit der Trend zur „Häppchenlektüre“ zu beobachten. Ausdruck dieses weder auf plurima lectio noch genaueres Kennenlernen eines einzelnen Autors bedachten eklektischen Leseverhaltens sind Anthologien, wie sie in „Buchners Lesebuch Latein“ vorliegen. Der Versuch, in den einführenden Passagen oder im Grundwissen einen Überblick beispielsweise über Ciceros Philippicae (S. 6f., 10, 16, 19, 21, 24, 26, 31, 32) oder Ovids Metamorphosen (S. 35f., 118f.) zu geben, konnte den Autoren des Lesebuchs aufgrund der quantitativen Rahmenvorgaben nur teilweise bzw. oberflächlich gelingen. Von den im Lesebuch vorkommenden Autoren lernen die Schüler allenfalls Cicero als guten Rhetoriker in seinen Reden, als Privatmann in seinen Briefen und als Philosoph in seinen philosophischen Schriften ausgiebiger kennen. Hier wäre zusätzliche Arbeit zu leisten, die der Lehrkraft von der Anthologie nicht abgenommen wird. Ob man sich auf die sicherlich gelungene Anthologie einlässt und für die Anschaffung in der Schule plädiert, ist also letzten Endes eine Glaubensfrage, welche die jeweilige Fachschaft unter sich vereinbaren muss. Die traditionellen Lektüreausgaben kann das vorliegende Lesebuch jedenfalls nicht vollumfänglich ersetzen.