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Rezension zu: „Seneca, Epistulae morales“

Stefan Walberer, Besprechung von: Kuhlmann, Peter: Die Philosophie der Stoa: Seneca, Epistulae morales (Reihe: classica. Kompetenzorientierte lateinische Lektüre 10, Hrsg.: Kuhlmann, Peter) Göttingen 2016, 80 S.

2016 erschien der zehnte Band in der Reihe classica. Peter Kuhlmann brachte damit ein Lektüreheft zur stoischen Philosophie und Senecas Epistulae morales auf den Markt, das gemäß der Zielsetzung der Reihe kompetenzorientierte Lektüre ermöglichen will.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis gibt Auskunft über den groben Aufbau der vorliegenden Ausgabe: Die einleitenden Seiten 7 bis 11 bieten unter anderem kleinere Hinweise zur Benutzung der Ausgabe, eine Formulierung angestrebter Kompetenzen in den Bereichen Sprache, Text und Kultur sowie Leitfragen für die Interpretation der Briefe Senecas, welche bei der Arbeit mit der Ausgabe sicher hilfreiche Orientierung bieten.

Der Hauptteil gliedert sich in folgende neun thematische Einheiten:

  • Tipps und Tricks für den Alltag
  • Philosophie und Ethik
  • Theologie
  • Güterlehre
  • Affekte
  • Fatum und Providentia
  • Tod und Freitod
  • Sklaverei und Freiheit
  • Weisheit und Bildung

Diese sind wiederum in insgesamt 29 Unterkapitel gegliedert, die teils lateinische Texte und ihren Inhalt behandeln und teils Sachinformationen zum jeweiligen Thema bieten. So ergibt sich insgesamt eine gelungene Mischung aus (modifizierten) Originaltexten, deutschsprachiger Lektüre und passenden Hintergrundinformationen zur antiken Kultur und zur Philosophie der Stoa. Daneben werden auch sprachliche und stilistische Phänomene in Senecas Briefen, die für die Übersetzung relevant sind, in einer eigenen, mit der Sigle S gekennzeichneten Rubrik behandelt bzw. wiederholt. Die Sigle K weist außerdem auf kurze Erklärungen zur antiken Kultur hin.

Der Anhang der Ausgabe enthält ein nach den Unterkapiteln des Hauptteils gegliedertes Verzeichnis von Lernvokabeln, die sinnvollerweise vor der Behandlung des entsprechenden Kapitels gelernt bzw. wiederholt werden sollten. Außerdem findet sich hinten in der Ausgabe eine Übersicht über wichtige Stilmittel und ein Verzeichnis von relevanten Eigennamen.

Das Layout der Ausgabe ist insgesamt übersichtlich und gut strukturiert. Überschriften und der ad-lineam-Kommentar zu den Texten sind farblich hervorgehoben. Auch die Schriftart wird sinnvoll variiert. Die nummerierten Aufgabenstellungen sind in grau statt schwarz gehalten, was sie zwar nicht ansprechender macht, aber zumindest optisch hervorhebt.

Die Ausgabe enthält insgesamt 21 und damit an mancher Stelle zu wenige farbige Illustrationen (etwa keine einzige auf den Seiten 26 bis 31), die jedoch teils einen Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler herzustellen versuchen. Gut wäre es gewesen, hätte man die vielen leeren Halb- oder Drittelseiten (z. B. auf S. 23) mit ansprechenden Bildimpulsen aufgefüllt. Weiter enthalten die Seiten zum Hintergrund der behandelten Texte zu viel trockenen Fließtext und wirken dadurch wenig motivierend. Mehr sinnvolle erläuternde Bildelemente fehlen hier eindeutig. Ein drastisches Beispiel ist die Doppelseite 30/31, auf der, obwohl ausreichend Platz vorhanden wäre, vollständig auf Bilder verzichtet wurde.

Die Ausgabe bietet ein inhaltlich großes Spektrum an Textauszügen aus Senecas Epistulae morales, beschränkt sich jedoch nicht auf dieses Werk. Zum Thema „Fatum und Providentia“ werden auch Auszüge aus De providentia behandelt. In deutscher Übersetzung präsentiert der Autor außerdem Auszüge aus den Texten wichtiger Philosophen wie Aristoteles. Das Textpensum der Ausgabe dürfte für die Behandlung im Unterricht nach entsprechender Aufbereitung durch die Lehrkraft realistisch sein.

Die lateinischen Texte in der Ausgabe sind unterschiedlich aufbereitet und unterscheiden sich daher auch im Schwierigkeitsgrad, worauf der Autor jeweils in der Überschrift durch die Buchstaben A (leicht/viele Hilfen), B (mittelschwer) bzw. C (schwierig/weniger Hilfen) hinweist. Die Passagen sind eine bis eineinhalb Seiten lang und teilweise durch kurze deutsche Absätze unterbrochen. Besonders schwierige Sätze und kleinere Abschnitte sind also schon in vorübersetzter Form in den lateinischen Text eingefügt. Außerdem führen knappe deutsche Einleitungen zum Text hin und wirken so ein wenig inhaltlich vorentlastend.

Während des Übersetzens hilft den Schülerinnen und Schülern ein ad-lineam-Kommentar, der oft etwas zu umfangreich ist, was demotivierend wirken kann. Als Beispiel sei hier S. 42 genannt: Für die ersten beiden Zeilen (zwölf Wörter) werden sechs Angaben gemacht, und das, obwohl der Text als „mittelschwer“ gekennzeichnet ist. Die Angaben betreffen oft Feinheiten, die zwar das richtige Verständnis des Textes fördern, aber gleichzeitig den Übersetzenden an vielen Stellen nicht zu eigenständigem Erschließen einzelner Wörter anregen. Diese Vorgehensweise sowie die Fülle der Angaben widerspricht einer der im einleitenden Teil formulierten Kompetenzen: „Ich kann unbekannte Wörter aus dem Zusammenhang oder durch Ableitung erschließen.“ Gerade dieses Erschließen unbekannter Wörter hat in der Regel der Kommentar bereits erledigt.

In der Fußzeile finden sich Verweise auf Grammatikthemen und Vokabeln, die für die Übersetzung wichtig sind. So können die Schülerinnen und Schüler schon vor der Auseinandersetzung mit dem Text wichtige und schwierigere Themen der Grammatik wiederholen und ihnen entfallene Vokabeln nachschlagen.

Unmittelbar unter den lateinischen Textauszügen findet man die Interpretationsaufgaben. Oft ist die erste Aufgabe speziell für die Bearbeitung vor der Übersetzung (pre-reading-Phase) bestimmt. So soll zum Beispiel der Text zunächst überflogen und auf häufig vorkommende Schlüsselbegriffe hin untersucht werden. Auch Rechercheaufträge kommen an dieser Stelle vor. Dies verschafft einen ersten Überblick über Inhalt und zentrale Ideen des Textes, was sicher ein motivierender Anreiz ist, sich intensiver mit dem lateinischen Text auseinanderzusetzen.

Weitere Aufgaben regen zu inhaltlich vertiefender Lektüre und einer Beschäftigung mit dem Text nach oder während der Übersetzung an. Auch Informationen zum Hintergrund der Texte werden sinnvoll eingebunden, indem die Aufgabenstellungen explizit auf kleinere Begleittexte verweisen. Außerdem wird oft ein Bezug zur Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler hergestellt. Sie sollen beispielsweise die in den Texten formulierten Grundaussagen auf ihr eigenes Verständnis von einem guten Leben, persönlichem Glück etc. übertragen und nach Parallelen und Unterschieden suchen. Bisweilen gerät auch die wichtige Dimension von Senecas Prosastil in den Blick, etwa S. 27 in einer allerdings rein deutschsprachigen Erläuterung zum elliptischen Schreibstil, der als für Senecas Briefe typisch hervorgehoben wird. Hier wäre eine noch dichtere Vernetzung mit der akribischen Originaltextlektüre wünschenswert.

Als Fazit lässt sich festhalten: Vorliegendes Lektüreheft ist eine insgesamt gelungene, aber nicht ganz ausgereifte Ausgabe. Der Ansatz der Kompetenzorientierung ist gerade in den Aufgabenstellungen gut umgesetzt und das verstehende Lesen der lateinischen Texte unter Miteinbeziehung ihres geschichtlichen und kulturellen Hintergrunds wird durch das gelungene Gesamtkonzept gefördert. Die Schülerinnen und Schüler erhalten bei der Arbeit mit dieser Lektüreausgabe sicher einen guten Überblick über wichtige Aspekte der Briefe Senecas und lernen gemäß den im Einleitungsteil formulierten angestrebten Kompetenzen Grundzüge der stoischen Philosophie kennen. Die Aufgabenstellungen regen außerdem die Verknüpfung der Texte mit dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit an und beziehen außerdem ‒ etwa mit Hilfe mehr oder minder aktueller und origineller Karikaturen (vgl. S. 17, 21) oder zeitgenössischer Fotographien (unglücklich die plakativen Aufnahmen zu Statussymbolen zu heutigen Glückskonzepten S. 45) ‒ den heutigen Leser und die Frage „Quid ad nos?“ sinnvoll mit ein. Darüber hinaus wird der Blick für sprachliche Besonderheiten und stilistische Merkmale der lateinischen Texte geschärft. Lediglich der umfangreiche Kommentar passt nur bedingt zu diesem Konzept. Auch die optische Gestaltung könnte durch eine größere Anzahl sinnvoll eingebundener Bildimpulse verbessert werden.